Am besten wirst du….reich. Oder: Die Gehaltsprognosen-Lüge

Gerade brachte das Deutsche Institut für Wirtschaft in Berlin eine neue Studie heraus. Man erstellte ein Top-10 der Bestverdiener je nach Studienrichtung und unterschied das auch noch nach Geschlecht. Mehrere Zeitungen und Online-Portale griffen gestern das Thema auf. Der generelle Tonus: komplett unkritisch.

Leider ist die Studie beim DIW noch nicht online (jedenfalls konnte ich sie nicht finden…help? ;-) ), denn die zitierten Zahlen lassen tausend Fragen offen. Was etwa ist mit Verdienst gemeint? Kaum eine Zeitung fügte hinzu, dass es sich hierbei um Netto-Zahlen handelt. Nur aber was bitte ist Netto? Ein individueller Wert, da abhängig von der Steuerklasse. Könnten die zitierten Frauen also vielleicht verheiratet gewesen sein und deshalb weniger netto vom brutto haben? Nur so ein Gedanke.

Die simpelste Empfehlung findet sich im Berliner Kurier: „Junge Frauen, die viel Geld verdienen wollen, sollten Zahnmedizin studieren. Sie gehen mit 15,50 Euro Netto-Stundenlohn nach Hause, wer „nur“ Medizin studiert, darf sich über 13,36 Euro netto freuen.“ Hallo, was ist das denn für ein gefährlicher Rat? Und: Wenn Selbstständige dabei sind, wie sollte dann mit einem Netto-Wert gerechnet werden können?

Außerdem: Was bedeutet netto auch unter der Maßgabe, dass mehr als ein Drittel aller Ärzte selbstständig sind (400.000 gibt es, 125.000 sind selbstständig, siehe Destatis) – und unklar, ob diese mitberücksichtigt wurden?  Weiter geht es mit Seltsamkeiten aus der Studie, dieses Mal FAZ: „Die Fächer Finanzen und Versicherungen liegen mit 10,29 Euro auf Platz 7, gefolgt von der beliebten Betriebswirtschaftslehre mit einem Stundenlohn von glatt zehn Euro. Rang 9 wird von der Naturwissenschaft belegt, Biologinnen verdienen laut DIW 9,95 Euro. Den letzten Platz der Top 10 belegt der Uni-Studiengang Anglistik mit 9,81 Euro.“ Man beachte: den geringen Unterschied zwischen den Zahlen. Sowie die Tatsache, dass Rechnungswesen und Finanzen eine Spezialisierung der Betriebswirtschaftslehre sind.

Und dieser Satz ärgert mich besonders: „Bei den Frauen ist es eine Ausbildung im Bereich Marketing und Werbung, die auf lange Sicht im Durchschnitt ein höheres Gehalt einbringt als so mancher Studiengang. Während Frauen mit einer Berufsausbildung in dieser Branche im Durchschnitt 9,54 Euro verdienen, bekommt eine studierte Informatikerin im Durchschnitt nur 9,32 Euro.“ Das kann schlichtweg gar nicht sein, es widerspricht komplett dem, was wir hier seit 12 Jahren sehen. Natürlich verdienen Informatikerinnen weit überwiegend mehr, erst recht wenn man Werbung von Marketing trennt und sich die Bereiche mal getrennt anschaut – und Fach- und Führungskräfte trennt.

Nun lassen Sie uns einfach mal spaßeshalber rechnen: bei einer 40-Stunden-Woche verdiente der Anglist pro Monat 1.569.60 EUR. Je nach Steuerklasse liegt er damit bei ca. 3.000 EUR brutto im Monat; es gibt Schlimmeres, z.B Friseurgehälter. Noch auffälliger sollte sein: Das sind 30, 40 Euro Unterschied zum Betriebswirt. Kaufen wir uns davon doch ein halbes T-Shirt.

Selbst wenn die Zahlen die richtige Richtung weisen: Was bitte sagt das über die Zukunft? Immerhin können wir darüber nachdenken, dass die Zahnpflege immer besser wird, der Reparaturbedarf geringer, der niedriger dotierte Zahnpflegebedarf höher und sich dadurch der Bedarf in dieser Disziplin mindestens stark verschiebt. Goldene Zeiten sind passé, sagt mir eine befreundete Zahnärztin. Und wir hatten in letzter Zeit auffällige viele Dottores, die in die Wirtschaft wollten. Es bilden sich weiterhin seit einiger Zeit Discount-Zahnärzte. Ich glaube deshalb nicht, dass der Zahnarzt dauerhaft ein Porsche-Beruf bleibt.

Fazit: Es ist grob fahrlässig, von der Vergangenheit auf die Zukunft zu schließen. Dass es jetzt so ist oder/und gestern so war, heißt lange nicht, dass es in Zukunft so bleibt. Hier liefert eine andere, online verfügbare, Untersuchung des DIW das Argument, die nicht ganz so gerne und leicht zitiert wird wie die obige. Diese bezieht sich auf die Einkommensentwicklung in Deutschland: „Die Einkommensungleichheit in Deutschland hat seit der Jahrtausendwende signifikant zugenommen. Zwar liegt Deutschland im Niveau im Mittelfeld aller OECD-Länder, doch die Spanne zwischen Arm und Reich öffnet sich hierzulande überdurchschnittlich schnell. Immer mehr junge Erwachsene arbeiten im Niedriglohnsektor, nicht einmal jeder Zweite schafft innerhalb von fünf Jahren den Aufstieg auf ein höheres Einkommensniveau.“

Wir lesen…. seit der Jahrtausendwende. Und nun fragt euch mal, was in 10 Jahren – in einer Welt, die ständig an Tempo zunimmt – Aussagen wert sind, die heute auf der Basis eines Blicks auf gestern getroffen worden sind?

Ach ja, ein bißchen Werbung darf in meinem sonst werbefreien Blog erlaubt sein. Am besten wirst du Arzt gibt ein paar fundiertere Prognosen.


7 Kommentare zu “Am besten wirst du….reich. Oder: Die Gehaltsprognosen-Lüge

  1. Liebe Frau Hofert,

    ein glänzender Artikel! Mir kam beim Studieren der DIW-Studie immer etwas komisch und widersprüchlich vor – jetzt weiß ich auch, was! Darüber hinausgehend machen Sie sehr richtig auf den Unterschied von Rückblick und Prognose aufmerksam – ein sehr wichtiger Aspekt!

    Viele Grüße,
    cb

  2. Hallo Frau Hofert,
    da stimme ich Ihnen voll und ganz zu. Mein Eindruck ist, dass es sich viele Journalisten und Autoren sehr einfach machen, und versuchen mit Horrormeldungen und pseudowissenschaftlichen Ratschlägen Auflage zu machen bzw. “Klicks” zu erzielen.
    Was für einen Sinn macht es sich nach einer heutigen Gehaltstabelle zu orientieren, wenn man nicht die notwendigen Kompetenzen für den Beruf mitbringt? Natürlich will jeder viel Geld verdienen. Das kann und wird er auch. Aber nur, wenn er neben einer guten fachlichen Ausbildung auch entsprechende Kompetenzen / Fähigkeiten mitbringt.

    Als positives Beispiel sehe ich hier die SIBE (http://www.steinbeis-sibe.de/start/)., eine Tocher der Steinbeis Hochschule.(Ich hoffe, dass dies jetzt keine Werbung ist.) Hier müssen BewerberInnen für ein MBA-Studium ein Kompetenztest erfolgreich absolvieren. Im Studium selbst wird zudem großer Wert auf die Aus- und Weiterbildung von Kompetenzen gelegt.

    Mein Fazit hierzu:
    Ein gutes Einkommen hat, wer erfolgreich ist. Erfolgreich ist, wer Spaß hat. Spaß hat, wer seine Kompetenzen / Stärken ausleben kann.

    Herzlichst, Ihr
    Franz-Peter Staudt

  3. Hallo Herr Staudt,
    vielen Dank für die sehr gute Ergänzung. Es ist absolut richtig, dass Spaß und Persönlichkeit entscheidend sind. So kenne ich Fälle, in denen die Gehälter von Anglisten die von Zahnmedizinern deutlich überschreiten ;-) Und Steinbeis empfehle ich auch gern, gute Erfahrungen. herzlichen Dank und Grüße an Sie Svenja Hofert

  4. Mir kamen die Stundensätze allesamt auch recht blöde vor. Suggeriert wird, als wenn für BWLer, Biologinnen, Anglisten und Informatikerinnen bald der Mindestlohn EUR 7,50 eingeführt werden müsse. Brutto und Netto fällt beim Eifer des Wortgefechts schon gar nicht mehr auf.
    Übrigens haben nach der obigen Regel verheiratete Männer in der Regel die höchsten Stundenlöhne. Hab ich wieder mal Glück…
    Unbedacht nur, dass dann in der Regel auch die “Gütergemeinschaft” funktioniert. Meine Frau und ich addieren zukünftig einfach unsere Stundensätze, schon dürften wir bei weit über 20 Euro liegen.
    Zahlenabsurditäten…

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