Mein Selbstversuch: Das Big 5-Persönlichkeitsmodell

Es stimmt. „Redet gestenreich“ und „weniger von Regeln geleitet, mehr spielerisch“. Richtig ist auch, nettes Detail, dass ich mich eher für Modern Art begeistere als für exakte Landschaftmalerei – denn (wahre) Kunst ist für mich freie Interpretation und weniger getreue Kopie. Letzteres nenne ich Handwerk – im vollen Bewusstsein, dass alles im Leben eine Frage des Standpunkts ist.

Ich habe es wieder getan: einen Test gemacht, den Big5 in der Profi-Version absolviert. Für Kenner: Die Version basiert auf dem NEO Fünf-Faktoren-Modell (Neo FFI) und wird angeboten vom Karriereexperten-Firmen-Mitglied PI Company, denen ich hiermit das Prädikat „empfehlenswert“ für gute und schlüssige Selbsttestbegleitung verleihe. Auch die Unterlagen haben mich überzeugt. Ich habe den Big5 früher schon in vereinfachten Internet-Versionen absolviert – das ist nicht zu vergleichen mit einem Profi-Test. Der Big 5 ist der weltweit im häufigsten eingesetzte Persönlichkeitstest und besitzt eine hohe Validität. Er dient sowohl der Personalauswahl als auch der Personalentwicklung und ist somit ein Instrument für die HR-Abteilung. Manche Firmen setzen ihn im Rahmen von Assessment Centern, einige schon bei der ersten Bewerberauswahl im E-Assessment ein.

… Und das stimmt auch: „überfliegt gern alles“ und „nimmt Arbeit mit nach Hause.“ Das sind Ausprägungen einer eher hohen Flexibilität oder anders ausgedrückt: nicht allzu großer Gewissenhaftigkeit (im NEO ausgedrückt durch C-, wobei C für Gewissenhaftigkeit und – für wenig ausgeprägt steht). Bin ich froh, dass ich Routineaufgaben an meine Mitarbeiterin delegieren kann (die ungetestet wahrscheinlich ein C+ hat). Soweit, so akzeptiert – so wie 80-85% sich laut PI Company in den Testergebnissen wiederfinden. Spannend ist indes, dass durch die einzelnen Unterkriterien deutlich wird, dass ich einen hohen inneren Antrieb habe – auch das fließt in Gewissenhaftigkeit als Gesamtwert mit ein und ist auch für sich interpretierbar.

Eine Formulierung in der ansonsten detailreichen und verständlichen Auswertung auf 34 Seiten aber hat mich indes auf den ersten Blick “gewurmt”: Schriftliche Kommunikation soll mir schwerfallen. Das Gegenteil ist der Fall. Doch nach dem kompetenten Auswertungsgespräch, muss ich zugeben: Stimmt, sofern damit gemeint ist, dass mich zum Beispiel das Beschreiben allzu vieler Details in Briefings anstrengt und ich die Mitarbeit selbstständig denkender und handelnder Menschen deutlich präferiere, weil ich denen nicht so viel „Kleinkram“ erklären muss.

Dabei, und das steht im scheinbaren Widerspruch, erkläre ich an und für sich sehr gern. Der Unterschied wird aber auf dem zweiten Blick klar: in Büchern, Training und Coaching dient es meiner Unternehmung und damit meinem unmittelbaren Ziel und Zweck. Diesen zu erfüllen fällt mir leicht. Das Formular des Finanzamts ausfüllen dient diesem Unternehmenszweck nicht – ergo schludere ich oder delegiere.

In allen anderen Punkten finde ich mich wieder, zum Beispiel zerlegt der Big 5 auch die Dimension Extraversion und Intraversion (wie eben auch Gewissenhaftigkeit und die anderen Werte) in Unterkategorien. So ergibt sich ein viel differenzierteres Bild als es etwa der MBTI misst, der einfach nur aussagt, ob jemand Introvertiert oder Extravertiert ist. Die Unterkategorien sind Enthusiasmus, Kontaktfähigkeit, Geselligkeit, Führungsimpuls und Direktheit. Bei drei dieser Werte liege ich im ambivertierten Bereich an der Grenze zur Extraversion, bei zweien im introvertierten.  

Um ein noch vollständiges Bild vom Big 5 zu bekommen habe ich zusätzlich das Buch „Führen mit dem Big 5-Persönlichkeitsmodell“ gelesen. Da stand das mit dem „redet gestenreich“ und der Neigung zur modernen Kunst in Bezug auf einen Menschen mit einer hohen Offenheit. Viele interessante Erläuterungen sind drin – aber dann bin ich im Buch doch auf etwas gestoßen, was mir nicht gut gefällt: die Berufsempfehlungen. Mit meinem Profil passe ich einigermaßen auf den Berater und mit kleineren Abstrichen auf den Architekten. Das Thema Anzeigenverkauf weise ich, trotz relativer Passgenauigkeit, entschieden von mir (es entspräche meinen Neigungen so gar nicht, dann doch lieber Kampfflieger).

Mir erschließt es sich, dass ein Bombenräumungsexperte besser stressresistent (niedriger Neurotizismus bzw. Umgänglichkeit) und gewissenhaft sein sollte. Extravertiertheit, logisch, ist hier entbehrlich. Aber wieso darf ein Zweigstellenleiter introvertiert und muss ein Trainer extravertiert sein – ebenso wie ein Projektmanager und ein, jaja, Kampfflieger? Hier scheinen mir verbreitete Stereotypen zu greifen, die nicht berücksichtigen, dass es höchst unterschiedliche berufliche Konstellationen und Umfelder gibt und auch das landesspezifische Verständnis von und in Berufen verschieden ist. So sollen Polizisten weniger offen sein dürfen (O- für eine niedrig ausgeprägte Offenheit), was sich mit meiner praktischen Erfahrung wenig deckt.

Und ist es nicht so, dass der Jurist mit jedweder (intro- und extrovertierten) Persönlichkeit ein passendes Einsatzfeld finden kann, sofern er sich für Recht überhaupt interessiert – ähnlich wie der Journalist, der Unternehmer, der Manager…?  Gut, bleibt zu hoffen, dass Führungskräfte, die mit dem Big 5 arbeiten, eine ausreichend kritische Distanz und genügend Urteilungsvermögen besitzen. Das müsste man erst mal testen ;-)

Interpretationshilfen gehören dazu - hier zur Ergebnisorientierung im Test

Welche Chancen hätte ich bei einer Stellenbesetzung? Und wie entscheiden sich Unternehmen für den einen oder anderen Kandidaten? Was bringt das Big5-Modell für das Verständnis der Persönlichkeiten? Darüber unterhalte ich mich am Montag mit Heiko Hoeppener in einem Interview, auf das Sie jetzt schon gespannt sein sollten.

Ein Hinweis für Mitglieder von Karriereexperten.com: PI Company gibt Ihnen die Chance, sich für einen erheblich reduzierten Preis zertifizieren zu lassen. Das nächste Mal in Hamburg bin ich schon mal dabei.


15 Kommentare zu “Mein Selbstversuch: Das Big 5-Persönlichkeitsmodell

  1. Erst einmal, vielen Dank für Ihren Selbstversuch Frau Hofert!

    Schön, dass Sie sich in vielen Teilergebnissen wiederfinden und eben auch in manchen nicht!

    Genau darum sollte es bei einem Testverfahren nämlich ebenfalls gehen, die Ergebnisse mit dem Kandidaten zu besprechen. Nur so kann man in der Personalauswahl stellenspezifische Anforderungen hinterfragen bzw. klären und in der Personalentwicklung die richtigen und wichtigen Entwicklungsfelder bestimmen.

    Die Interpretationshilfen aus dem pop-up Bild sind übrigens ein Auszug aus unserem Leitfaden „Coaching for behavior and results“. Dieser Leitfaden bietet sowohl Hilfe zur Interpretation, wie auch handlungsorientierte Maßnahmen zur Entwicklung einer Kompetenz.

  2. Ach so, vollkommen richtig finde ich außerdem Ihren kritischen Standpunkt zur Typisierung!
    Genau dem wollen wir mit dem Big Five ja entgegenwirken, insofern sollte man den Berufsempfehlungen aus dem Buch nicht zu viel Gewicht beimessen bzw. wie Sie angemerkt haben hoffen, dass diejenigen genug kritische Distanz mitbringen.

  3. Danke für die Ergänzungen Herr Hoeppener. Das mit den Berufsempfehlungen findet man ja überall (außer beim Reiss-Test, wir sprachen darüber). Ich bin da allergisch, weil wir so viele Kunden hatten, die z.B. nach Geva-Test-Empfehlung studiert haben und die Entscheidung am Ende bereuten, weil sie falsch gewesen ist…. Bei einige Berufen, das sehe ich auch, gibt es wenig Spielraum. So soll der Pilot unbedingt einen niedrigen Neurotizismus haben. Aber das mit der Extravertriertheit ist diskutierbar, da diese ja auch Facetten hat. LG SH

  4. Hallo Frau Hofert,

    habe letztens gelesen, dass hohe Werte für Neurotizismus (im Big 5) die Anfälligkeit dieser Person für Burnout erhöhen. Wie ist Ihre Einschätzung hierzu?

    LG, Enrico Briegert

  5. Hallo Herr briegert, meine Erfahrungen mit dem Reiss Profile sind sehr viel umfangreicher – und da lässt sich eindeutig sagen, dass hohe Anerkennung (korreliert eventuell mit hoher Gewissenhaftigkeit im Big5 – das müsste Lars Lorber wissen) und hohe emotionale Ruhe (im Big5 durch Neurotizismus abgebildet) mit Burnout-Disposition einher gehen. Das sagt Prof. Steven Reiss und das sehe ich bei Kunden bestätigt. Es liegt daran, dass jemand mit hoher Anerkennung dazu neigt, alles perfekt machen zu wollen und sich sehr stark an anderen und deren Anforderungen ausrichtet. Emotionale Ruhe/Neurotizismus wiederum sorgen dafür, dass sich jemand mehr Sorgen macht (oder überhaupt Gedanken). Vielleicht meldet sich dazu noch jemand von den Big5-Profis zu Wort? LG SH

    • Dem kann ich eigentlich nichts mehr hinzufügen ;)
      Ja, Anerkennung korreliert mit Gewissenhaftigkeit und Menschen mit hohem Neurotizismus neigen stärker zu Burnout als andere bzw. umgekehrt. Viele Faktoren von Burnout (z.B. Frustration) sind ja auch Teile von hohem Neurotizismus.

      Der Big Five Test den Sie gemacht haben Frau Hofert, ist übrigens eine Version von Howard J. Pierce. Die Unterkategorien/Facetten der fünf Eigenschaften sind dort nicht die gleichen wie bei der wissenschaftlichen Version des NEO-FFi von Costa und McCrae (wenn auch größtenteils recht ähnlich, aber die Unterkategorie Taktgefühl gibt es bei den original Big Five z.B. nicht).
      Der Test von Pierce ist mehr auf Zugänglichkeit und Business-Tauglichkeit angepasst.

  6. Hallo Herr Lorber, danke für das Statement! Ich finde das Reiss-Profil ist eine Top-Ergänzung zu den Big5, da man hier sieht, woraus ein Verhalten resultiert, z.B. Perfektionismus eben häufig aus Anerkennung (und dies wiederum kann in den Burnout führen). Das Problem, das ich sehe, ist, dass z.B. Menschen mit hoher Anerkennung ideale Mitarbeiter sind, weil sie sich für einen aufreiben. Der Big5 testet das als Gewissenhaftigkeit/Neurotizismus-Mix. Wir suchen nach solchen Menschen, besonders gern in Assistenzpositionen oder dort, wo ordentlich was wegzuschaffen ist. Das ist ein ziemlicher Konflikt für die Personalauswahl finde ich. … Denn damit bevorzugen wir Burnout-prädestinierte Leute, auch um uns selbst das Leben leicht zu machen. Ich frage mich manchmal, wie eigentlich gemessen wird, dass jemand mit einer bestimmten Ausprägung im big5 in bestimmten Positionen erfolgreich ist. Was ist die Benchmark? LG Svenja Hofert

  7. Pingback: Interview zum Big5 | Online-Magazin für Karriere & Zukunft von Svenja Hofert

  8. Burnout:
    Ich schließe mich den Meinungen von Fr. Hofert und Hr. Lorber an.
    Bei der alleinigen Betrachtung des Faktors N möchte ich hier noch anmerken, dass man insbesondere „sehr hohe“ Werte beachten muss!
    Das gilt eigentlich für alle Faktoren, bei extreme Werte in den Bereichen von 7% sollte man hierauf ein besonderes Augenmerk legen und diesen Wert mit der Person besonders detailliert besprechen (also wenn nur 7% der zum Vergleich herangezogenen Normgruppe einen ähnlichen Wert haben – sowohl linke wie auch rechte Ausprägung).

    Ein weiterer Hinweis auf eine Burnout Gefährdung könnte der Vergleich Anforderungsprofil und Persönlichkeit liefern.
    Wenn mir etwas schwer fällt, weil es nicht zu meiner Persönlichkeit passt, stresst es mich auch mehr. Auf Dauer ist das sicherlich ein Aspekt, der in entsprechenden Situationen ebenfalls berücksichtigt werden sollte.

    Facette Taktgefühl:
    Herr Lorber, Frau Hofert hat den Reflector Big Five Personality gemacht, nicht den Workplace Big Five nach Howard & Howard (Pierce ist der Vorname). Der ebenfalls wissenschaftlich fundierte Reflector Big Five Personality basiert auf dem Workplace Big Five, weist aber eben auch einige Weiterentwicklungen auf. Z.B. die von Ihnen angesprochene Facette E6 „Taktgefühl“ des Workplace Big Five entspricht im Reflector Big Five der Facette A5 „Takt“. Im klassischen NEO gibt es diese Facette meines Wissens nach jedoch auch und entspricht der Facette A2 „Freimütigkeit“. Im Reflector Big Five wurde sie also analog zum NEO wieder im Faktor Umgänglichkeit untergebracht.

    Benchmark:
    Da frage ich mal bei den Kollegen nach …

    • Danke für die Klarstellung. Hatte mich beim Workplace Big Five immer gewundert warum Taktgefühl bei Extraversion steht, denn das hat keinen Zusammenhang. bei Umgänglichkeit macht das nun wesentlich mehr Sinn.

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