Parlando: Am Küchentisch mit Bodo

15. Dezember 2004 | Von | Kategorie: Literatur u. Medien

Foto: hr/Andrea EnderleinVoller Überraschungen – zumindest für die Gäste Alexa Hennig von Lange, Karin Baal und Lilo Wanders – steckte die Premiere der neuen Literatursendung des Hessischen Rundfunks mit Bodo Kirchhoff. “Gute Leute – gute Bücher” hatte Kirchhoff versprochen. Mit viel Hintersinn, wie sich später herausstellen sollte, schleppte er seinen häuslichen Küchentisch ins “Glas Haus” des Frankfurter Schauspiels, um seine Gäste daran Platz nehmen zu lassen. Im Vorfeld ordnete Kirchhoff jedem Gast ein Buch zu, von dem er glaubte, es mit der Person des Gastes in Verbindung bringen zu können. Über dieses Buch und die Eindrücke, die es bei den Gästen hinterlassen hat, wird in Parlando gesprochen.

Den Auftakt hatte Alexa Hennig von Lange mit Jean-Philippe Toussaints “Sich lieben” zu bewältigen. Zunächst hinter einer Schlafbrille der Japon Airlaines – ein wichtiges Requisit in diesem Buch – beschrieb sie die Geschichte als melancholisches Erdbeben einer zerbrochenen Liebe. Kirchhoff hantierte mit einem kleinen Fläschchen: Salzsäure, ein weiteres Requisit aus dem Buch, vermutete sein Gast. Der Charakterisierung des Buches als melancholischer Orgasmus widersprach Frau von Lange heftig konnte auch an anderen Stellen Kirchhoffs Ansichten nicht zustimmen. Sie erklärte die Gemütslage der Protagonisten, ihre Zweifel an der Liebe, zum vermutlichen Grund, warum sie selbst geheiratet habe. Die Faszination des Buches läge darin, dass der Autor Räume erschreibt nicht nur für sich sondern auch für den Leser. Man sei sich ja, zumindest gesprächsweise, näher gekommen sie möge ihm doch vertrauen und einen Schluck aus dem Fläschchen probieren, bat Kirchhoff und nahm, um auch den letzten Zweifel zu beseitigen, den ersten Schluck. “Woher haben Sie das gewusst?” schrie Frau von Lange, nachdem sie an dem Fläschchen genippt hatte und sprang Kirchhoff an die Gurgel. “Davon bin ich schon mal ohnmächtig geworden” – “Ich hab gar nichts gewusst, das ist Grappa aus Italien” so Kirchhoff.

Bei Karin Baal erwies sich Kirchhoff als Meister des grazilen Anbaggerns. Schon im Alter von zwölf Jahren habe Karin Baal seine und seiner Freunde pubertäre Phantasie beflügelt; und nicht nur ihre, sondern die Phantasie einer ganzen Generation. Fünfundvierzig Jahre habe er darauf gewartet, mit ihr zusammen sitzen zu dürfen. Sichtlich beeindruckt jedoch mit viel Humor blieb Frau Baal bei “Blaue Augen, schwarzes Haar” von Marguerite Duras hart an den Figuren und liess sich nicht zu Ausflügen ins Private verleiten. Als Kirchhoff noch eine Schallplatte mit Maria Callas und dem Ave Maria auflegen liess, war die Szene perfekt: Hier hatte ein pubertierender Pennäler anscheinend absichtlich schlechte Noten produziert, um seine Lehrerin zu einem Hausbesuch bei den Eltern zu animieren. Papa und Mama hatte er zum fraglichem Termin ausser Haus geschickt, um endlich mit der Geliebten allein sein zu koennen.

Den Bogen zu Lilo Wanders spannte Kirchhoff von Sigmund Freud, von dem wir erfahren haben, dass es überhaupt eine Sexualität gibt, über Oswald Kolle, der uns erklärt habe wie die Dinge heissen und was man normalerweise damit macht. Lilo Wanders zeige, was man im Extremfall damit machen kann. Unica Zürns Roman “Dunkler Frühling”, die Geschichte der erwachenden Sexualität eines Mädchens von ersten bis zum zwölften Lebensjahr habe sich ihr erst beim zweiten Lesen als Parabel auf das Leben der Autorin erschlossen. Sie selbst habe ein völlig entgegengesetztes Empfinden der Sexualität erlebt. Das Mädchen in dem Roman bringt sich am Ende um; auch die Autorin wählte drei Jahre nach seinem Erscheinen den Freitod.

Kirchhoffs “Parlando” bürstet die derzeit vorherrschenden Literaturformate im Fernsehen gegen den Strich. “Parlando” nimmt das Tempo und filmische Schnitttechniken heraus, holt Langsamkeit und Reflexion zurück. Keine aktuellen Titel oder Bestesellerlisten, keine Empfehlungen, keine Autoren, die über die eigenen Bücher sprechen. “Parlando” ist eine literarische Dreiecksbeziehung zwischen Kirchhoff, seinem Gast und einem Buch, dass er mit ihm in Beziehung bringt. Auf diese Art und Weise wird das Beziehungsgeflecht zwischen Autor, Werk und Leser, ihren Lebenswelten und Realitäten deutlich. Leise im Hintergrund hält sich die bekannte Floskel: “Was will uns der Autor damit sagen?” – Was hat er uns gesagt? Was hat sich Kirchhoff dabei gedacht? Wollte man die auf Kirchhoff bezogenen egomanischen Aspekte der Sendung vermeiden, muesste man mit jeder Sendung auch den Moderator wechseln. Mal sehen, wie Kirchhoff auf männliche Gesprächspartner zugeht. Es sind ihm solche vom Schlage einer Alexa Hennig von Lange zu wünschen, die ihm nicht nur verbal paroli bieten sondern, wenn es sein muss, auch handgreiflich werden.

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