Tod per Fernbedienung

admin | Posted 20/03/2007 | Belletristik | Keine Kommentare »

Amélie Nothomb

Kult-Autorin Amélie Nothomb siedelt ihre Satire des Reality-TV im Konzentrationslager an. Das Publikum stimmt ab: Wer wird in die Gaskammer geschickt?

“Zum ersten Mal schockiert sie”, befand ihr französischer Kollege Frédéric Beigbeder. Das war als Kompliment gemeint, und in der Tat ist
Amélie Nothombs
“Reality-Show” eine gewaltige Provokation – allerdings nicht ihre erste. Kalt lässt diese Schriftstellerin niemanden. Entweder wird sie als Nervensäge empfunden oder kultisch verehrt. Sie gehört weltweit zu den meistgelesenen, meistübersetzten Vertreterinnen der frankofonen Gegenwartsliteratur. – um die es allerdings auch schon besser stand. Bereits mit ihremErstling “Die Reinheit des Mörders” glückte Amélie Nothomb der Durchbruch. Die Auflagen waren so hoch, dass die Tochter eines belgischen Botschafters seither als freie Schriftstellerin leben kann.


Scheinheilige Zuschauer


Schauplatz von “Reality-Show” ist ein Konzentrationslager. Hier treibt Nothomb die Logik der so genannten “TV-Reality” auf die Spitze. “Konzentration” heisst die Sendung. Ihr Prnzip: Die Insassen des Lagers
werden von der Strasse weg engagiert, und das Publikum zuhause spielt mit. Es eliminiert jene Kandidaten, die ihm nicht gefallen – per Fernbedienung oder mittels eines (selbstverständlich überteuerten) Telefonanrufs. Zwei müssen sterben – jeden Tag. Pannonica, die Heldin des Romans , bekommt im TV-KZ die Nummer CKZ 114. Sie hat zuvor als Paläontologin gearbeitet, hat sich mit Lebewesen vergangener Erdzeitalter beschäftigt. Jetzt versucht sie zu ergründen, wie man in diesem Umfeld die eigene Würde bewahren kann. Und überleben kann. “Draussen” schlägt die Sendung hohe Wellen. Es wird diskutiert, konsumiert und verurteilt. Wie scheinheilig gerade die mediale Empörung über solche Skandale ist, stellt Nothomb meisterhaft dar.


Ätzende Satire

Gewiss, nicht alles an diesem Roman ist gelungen. Man kann die Hommage auf Primo Levi als rührend empfinden – oder als irritierend. Schliesslich ist Levis autobiographischer Roman “Ist das ein Mensch?”
eines der eindrücklichsten Bücher über das Leben und Überleben im Konzentrationslager. Gerade deshalb aber gerät der Bezug zur KZ-Wirklichkeit bei Nothomb zu eng. Andererseits reagierten Menschen,
die selbst die Erfahrung des Lagers machen mussten, durchaus positiv auf Reality-Show”. Zumindest erkannten sie darin keine Beleidigung der Opfer des Nazi-Wahns. Die Konstruktion und Drastik dieses Romans mag auf viele Leser dennoch frivol wirken – aber als ätzende Satire auf die Mediengesellschaft, den Exhibitionismus der Teilnehmer und den Voyeurismus der Zuschauer ist “Reality-Show” durchaus
gelungen – und unerbittlich. Genau das hat Frédéric Beigbeder zu Recht an diesem Roman gelobt: Es handelt sich um eine Art Science-Fiction, die jeden schockieren muss, der sie liest.


Unbedingt abschalten

Eine “Parabel über die Zukunft” nennt Frédéric Beigbeder das Werk, eine “Anti-Utopie”. Beigbeder schreibt: “Sie wagt es, der Logik unserer Zeit zu folgen. Was ist die Schoah? Der Anfang des Prozesses
der Entmenschlichung. Das heisst nicht, die verschiedenen Arten von Zerstörung gleichzusetzen, die Schoah bleibt einzigartig. Aber sie verhindert andere Arten der Zerstörung nicht. Ich kann verstehen, dass
man Abscheu vor

Share and Enjoy:
  • Print
  • Digg
  • Sphinn
  • del.icio.us
  • Yahoo! Bookmarks
  • Facebook
  • Mixx
  • Google Bookmarks
  • Blogplay
  • LinkedIn
  • StumbleUpon
  • Twitter
  • RSS

Kommentar verfassen

Connect with Facebook

Leseprobe

Related Posts

  • No Related Post