Verführerisch Feministisch
admin | Posted 25/03/2007 | Belletristik | Keine Kommentare »
“Salz auf unserer Haut” machte sie berühmt. In “Salz des Lebens ” erzählt
Benoîte Groult wieder von der unmöglichen Liebe – aber ganz anders.
Die intellektuelle Pariserin und der bretonische Fischer des Nachts am Strand: Eine unmögliche Leidenschaft zeichnete die französische Autorin Benoîte Groult da nach, vor nahezu 20 Jahren war das und ein kleiner Skandal ob der unverblümten Beschreibung der Liebe in Zeiten des Feminismus. “Salz auf unserer Haut” wurde, in Deutschland wie in Frankreich, ein gefeierter Bestseller und ein Synonym für die Befreiung des Gefühls von der Konvention.
Inzwischen ist Benoîte Groult 87 Jahre alt. Die Liebe, die nicht sein sollte, aber beschäftigt sie noch immer – denn es ist ja ihre. Im wahren Leben, so gestand Groult, war der Fischer ein Pilot. Und dies ist er auch in ihrem neuen Roman “Salz des Lebens”, der den Fall neu und zeitgemäß aufrollt. Den irischen Piloten Brian und die französische Historikerin Marion trennt nicht mehr die Bildung, die Gesellschaftsordnung oder ein schauderhafter Seidenblouson über seinen muskulösen Armen, sondern schlicht mangelndes Timing. Ist der eine grad frei, hat die andere sich schon neu gebunden. Nicht der Mangel, die Vielzahl der Möglichkeiten wird zum Problem.
Auch besteht Emanzipation nicht mehr darin, mit dem Liebhaber in aller Welt den “Lanzengang” zu proben, wie Groult 1988 formulierte. Heute bringt die Dame “brandneues Spielzeug” mit zum heimlichen Treffen: “ein Krabbennetz mit einem abnehmbaren Stiel und einer Klinkenmuffe aus Aluminium”. Der Fischer ist eine Frau. Marion jagt in “Gummihosen, Ölzeug, Südwester” an den Stränden von Kerry, schleppt dem staunenden Brian Meeresgetier ins Liebesnest – und berichtet von den weiteren Vorgängen dort ungleich weniger enthusiastisch.
Sind wir heute so, Madame Groult? So – trocken?
Wahre Leidenschaft entwickeln ihre Frauenfiguren ja erst bei dem zweiten großen Thema im neuen Werk: dem Altern. “Die einsamste aller Unternehmungen” wird so zum eigentlichen Motiv, dem sich Groult in
essayistischer wie beschreibender Form nähert. Ihr Alter Ego ist Marions Mutter Alice, eine Journalistin in den Siebzigern. Sie schildert ihren Verfall anhand kleiner Episoden – die Bewältigung einer U-Bahn-Treppe etwa – wie im Großen, Ganzen: dem Gefühl, an den Rand gedrängt zu werden. “Dass ein Tag kommen würde, da ich aus der Gesellschaft der Lebenden hinausbefördert würde. Weniger als ein Nichts. Unbrauchbar. Untauglich. Abgelaufen wie ein Joghurt.”
Dies sind die lebendigeren Stellen des Romans, die sprachkräftigeren. Und letztlich auch die tabulosen, in denen Groult sich einmal mehr als Kämpferin erweist. So betrachtet Alice ihre Enkel mit distanziertem
Ekel, nennt sie “kleine Bosse” und “kleine Nutten”: “Wir sind alle Komplizinnen, wenn wir die Unverschämtheit und Brutalität eines Jungen als Beweis seiner Männlichkeit ansehen und die Affektiertheit eines kleinen Mädchens als ein Zeichen, dass sie eine echte Frau werden wird, also eine Verführerin!” Ein harter Satz für eine liebende Großmutter.
Zugleich liegt hier einer der erfrischenden Widersprüche des Groult’schen Vermächtnisses: Alice kokettiertja mit ihrer eigenen Eitelkeit, die verletzt wird vonausbleibenden Männerblicken und der Zumutung,aus der Liga der strassbesetzten Spitzenhöschen ohneUmwege in die der unförmigen Schlüpfer katapultiert zu werden. Verführerisch und Feministin – ein Spagat, der nachfolgende Generationen weiterhin ins Schwitzen bringt. Auch Altmeisterin Groult bleibt die Antwort schuldig, aber sie stellt die Fragen, die “das Salz des Lebens” sind, auf höchst intelligente Weise undverdreht so immerhin ihren Lesern noch den Kopf.