Der Zweifel liest mit
admin | Posted 01/04/2007 | Uncategorized | Keine Kommentare »Er wollte nach Südamerika, daraus wurde nichts. Aber mit seiner Stimme ist Jan Josef Liefers in die Welt des Gabriel García Márquez eingetaucht. Der grosse Schauspieler liest die Erzählungen des Meisters gekonnt – und mit viel Gefühl.
Mit dem Motorrad entlang der Panamericana, das war der Plan. 20.000 Kilometer von Ecuador bis Patagonien, auf Bergpässen, Schotterstraßen, Dschungelwegen. Ob es am Einspruch der Gattin lag oder daran, dass er zu spät mit dem Motorradführerschein begann – gefahren ist Jan Josef Liefers jedenfalls nicht.
Dieses Abenteuer bleibt vorerst ein Traum. Mit seiner Stimme aber ist er nach Südamerika gereist, zu den Erzählungen des Gabriel García Márquez, ist eingetaucht in die Welt des magischen Realismus, die bei Márquez oft nur schmutzig ist. Márquez’ Erzählungen handeln von den Paramilitärs und den Drogenbaronen in seinem Heimatland Kolumbien, richten sich gegen sie und die Diktatur in Chile.
Was soll einer wie Liefers davon wissen? Bevor er mit “Knockin’ on Heaven’s Door” berühmt wurde, bevor er den Poeten in “Rossini” gab, lang bevor er im “Tatort” einen exzentrischen Pathologen spielte, war Jan Josef Liefers – ein Junge in der DDR. In Dresden ist er geboren und aufgewachsen.
Von dort kommt man entweder sehr früh weg oder gar nicht. Liefers ging früh. Nach einer Tischlerlehre wechselte er an die Ernst-Busch-Schauspielschule in Ost-Berlin. Liefers weiß, wie politischer Eskapismus sich auswirkt. Er weiß, wie eine repressive Umgebung zum atmosphärischen Stillstand des Alltags führt.
Das hört man in seiner Interpretation. Aber dann ist da auch der Optimismus, den er den Figuren aus Márquez’ ersten beiden Erzählbänden leiht. Dem Kleinkriminellen, der bei einem Einbruch in einen Spielsalon drei Billardkugeln erbeutet und verhaftet wird, als er sie aus Reue zurückbringen will.
Dem greisen Dorfpfarrer, der tote Vögel als Zeichen der Apokalypse deutet und seine zweifelnde Gemeinde noch einmal zum Glauben entflammt. Dem Zahnarzt, der den Backenzahn des Bürgermeisters zieht und daraus einen kleinen Racheakt für 20 ermordete Dorfbewohner macht.
Márquez’ Erzählungen leben vom Detail. Seine ersten Sätze auch: “Don Camillo Escobar, Zahnarzt ohne Diplom und Frühaufsteher, öffnete seine Praxis um sechs.” Oder: “Als Don José Montiel starb, fühlte sich alle Welt gerächt, nur nicht seine Witwe.” Aus solchen Situationen entwickelt Márquez Satz für Satz seine Welten.
Und Liefers rhythmisiert die derben und rührenden, die komischen und schmerzlichen Szenen so gekonnt, dass die Ambivalenz zwischen Einfühlung und Distanz immer spürbar ist. “Ich finde, ich lese gar nicht so gut”, sagt Liefers über sich selbst. Das würde bei jedem Star ziemlich kokett klingen. Bei ihm nicht. Er hegt Zweifel am Offensichtlichen.
Dieses Misstrauen gegenüber dem scheinbar Verlässlichen ist eine Lektion des DDR-Staats – er hat sie nicht vergessen. Mit seiner Márquez-Stimme im Ohr kann man sich Jan Josef Liefers in vielen Rollen vorstellen – sogar als Che Guevara.
Und sollte die Motorradtour einmal zustande kommen, könnte er auf der Panamericana nachspielen, was Che tat, als sein Motorrad den Geist aufgab: zu Fuß weitergehen.