Die Feministin und Ihr Mann

admin | Posted 20/05/2007 | Biografien | Keine Kommentare »

Iris von Roten auf Schweizer Briefmarke

1958 veröffentlichte Iris von Roten ihr Buch "Frauen im Laufgitter" – und wurde über Nacht zur meistgehassten Frau in der Schweiz. Verheiratet war sie mit dem katholischen Walliser Patrizier Peter von Roten. Nun erzählt Wilfried Meichtry die Geschichte eines ungewöhnlichen Paares.

Manchmal scheint die Frage schon berechtigt, ob heute solche Lebensgänge noch möglich sind: Existenzen, die sich zwischen gesellschaftlichem Anliegen, kämpferischem Engagement, grosser Liebe mit gegenseitiger Toleranz und intellektueller Ausdruckskraft bewegen. Oder befinden wir uns bereits inmitten der ersten Verklärungen? Iris und Peter von Roten verband eine Liebe über die Grenzen der Weltanschauung hinweg: sie, die Feministin, die Entdeckungsgierige und absolut Autonome, und er, der Katholik und konservative Politiker. Doch können es nicht zwei völlig fremde Welten gewesen sein.

Eine militante Frauenrechtlerin hätte zu viel Mühe mit einem Partner aus erzkatholischem Kreis gehabt. Und ein fundamentaler Kirchengetreuer hätte sich nicht mit einer radikalen Frauenrechtlerin eingelassen.
Es muss Verbindungen, Öffnungen gegeben haben. Entweder war ihre Gesinnung doch nicht allzu extrem ausgeprägt, oder die Liebe war stärker als alles Denken. Anscheinend lösten sie die Diskrepanz,
indem sie sich gegenseitigen Freiräume liessen – sexuelle, politische, ökonomische. Vielleicht liessen die Restunsicherheiten seines Glaubens und ihres Agnostizimus zu, eine solche Verbindung leben zu können.

Oder die Gegenwelten füllten die Nischen des anderen. Diesen und anderen Spuren ging der Walliser Historiker Wilfried Meichtry nach. Das bedeutete reichlich Arbeit, denn immerhin schrieben sich Iris und Peter von Roten rund 1.500 Briefe.

Ein beachtlicher Schatz von Daten, aus denen sich nicht nur ein Bild zweier Menschen generieren lässt. Wilfried Meichtrys Monografie einer Beziehung ist eingebettet in die Geschichte des 20. Jahrhunderts. Nicht umsonst spricht der Verlag von einert schweizerischen Version von Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir.

Laut Meichtry handelt es sich bei seinem Buch um den “Versuch einer Annäherung”. Das menschliche Naturell habe etwas “Zersplittertes, Widersprüchliches und Wandelbares”, und deshalb sei eine wissenschaftliche Aufarbeitung der beiden Leben im eigentlichen Wortsinn nicht möglich. Aber möglich macht Meichtry einen Lesegenuss. Seine literarische Einkreisung zweier Menschen mit ihren Anliegen und Nöten gelingt mit sehr viel Einfühlungsvermögen, und auch ihr Umfeld, ihre Zeit werden trefflich zur Sprache gebracht.

Als Beispiel sei Peter von Rotens Lebenslust in jungen Jahren genannt. Seine Mutter beobachtete sein unverkrampftes Verhältnis zu Frauen und sah sich genötigt, ihn zu ermahnen. Es kam so weit, dass eine Skitour zusammen mit Martina von Erlach Silvester 1938 nur in Begleitung seines älteren Bruders als Aufpasser möglich war. Nach Abschluss des Studiums zog Peter von Roten nach Raron im Kanton Wallis zurück.

Um neue Konfrontationen zu vermeiden, verzichtete er auf Damenbesuch. Eine Situation, die den jungen Juristen quälte und ihn an seiner Liebesfähigkeit zweifeln liess. Das Buch schildert erzählerisch behutsam und durchsetzt mit Texten aus Tagebüchern und Briefen, wie Leben und Streben eigentlich Stoffe sind, aus denen Literatur entsteht. Und wieder einmal stellt sich die Frage, wie streng Biografien und Literatur als Gattungen eigentlich zu trennen sind. “Verliebte Feinde” zeigt neue Aspekte der Geschichte zwischen Frau und Mann.

Allerdings muss damit gerechnet werden, dass solche Schatzheber literaturgeschichtlich wohl bald der Vergangenheit angehören werden. Oder wissen wir von Leuten, die ihre E-Mail-Korrespondenz ähnlich wohl formulieren und gar ausdrucken, um sie der interessierten Nachwelt zu überlassen?


Schwestern im Geiste?

Flankierend zu dieser lesenswerten Neuerscheinung können auch andere Bücher aus den Regalen genommen werden. Zum Beispiel die Biografie von
Barbara Kopp
über
Gertrud Heinzelmann
, eine Kämpferin für die Sache der Frau, die mit ihrer Forderung beimVatikan nach Priesterinnen für Häme in der in- und ausländischen Presse sorgte.

Oder die Geschichte über die Freundschaft zwischen
Meta von Salis
und
Friedrich Nietzsche
von
Brigitta Klaas Meilier
. Meta von Salis war mütterlicherseits verwandt mit Iris von Roten, sie war die erste promovierte Historikerin der Schweiz. Auch wenn von Salis für die Gleichberechtigung kämpfte, gelang es ihr noch nicht, dem berühmt-berüchtigten “Laufgitter” zu entfliehen.

Möglicherweise bot ihr Schicksal Iris von Roten einen weiteren Grund für ihr legendäres Buch “

Frauen im Laufgitter
“. Zu guter Letzt sei auf das neue Buch von
Linda Stibler
hingewiesen: “

Das Geburtsverhör
“. Ein Aspekt der Frauen- respektive Menschenrechte, der vielfältig tabuisiert wird: das Verhör von Frauen während der Geburtsschmerzen über die Ursache des Kindes. Ein barbarischer Akt, der jegliches ethische Empfinden verletzt, ob im männlichen oder weiblichen Herz und Gehirn.






Wilfried Meichtry


Verliebte Feinde

Iris und Peter von Roten
Biographie eines Paares
656 Seiten mit zahlreichen Abbildungen
Ammann Verlag
EUR 34.90 / CHF 58.50

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