Mehr als Dekoration
admin | Posted 05/06/2007 | Autoren | Keine Kommentare »
Wer braucht schon IPods, wenn er auch lesen kann? Der KURIER – Kulturchef jedenfalls bleibt bei Büchern.
Der Trend zum Zweitbuch ist nicht mehr aufzuhalten. Dieser saloppe Uralt-Spruch fiel mir wieder ein, als ich vor Kurzem ratlos in meiner neuen Wohnung stand, Dutzende voll gestopfte Bücherkisten vor mir und nicht wissend, wo ich denn beginnen sollte.
Dabei ging es mir ja noch gut: Der Spediteur hatte mir erzählt, dass er einmal eine ganze private Bibliothek ausgeräumt und übersiedelt hatte. Sechs Tonnen Bücher stapelten sich dann dort in einem Zimmer – zu viel für den Boden. Dieser neigte sich, die neuen Bücherregale machten eine Verbeugung und entfernten sich zehn Zentimeter von der Wand.
Passiert ist gottlob nix, und dem unteren Nachbar geht es angeblich noch gut. So viel Wissen, auf einmal konsumiert, hätte ja auch tödlich sein können. Aber wozu besitzt man überhaupt so viele Bücher? Heute lässt sich ohnehin alles im Internet nachschauen. Und für viele Menschen ist Googeln schon so eine Art Ersatzreligion.
Bei den CDs ist es ja auch so, dass man (wer auch immer dieser man ist) heute schon seine gesamte Sammlung auf einen iPod brennt und sich dabei angeblich nicht wehtut. Wird das bei Büchern ebenfalls bald so sein? Sind Hörbücher nur der erste Schritt zur Abschaffung der Bibliothek? Ich will es nicht wahrhaben und weigere mich auch, daran zu glauben. Warum? Weil Bücher viel, viel, viel, viel mehr sind als die Summe ihrer Buchstaben. Weil sie die besten Gefährten sind, die zwar zurückreden, aber nur, wenn sie gefragt werden.
Weil Bücher beim Essen, beim Trinken, beim Lachen und beim Weinen, beim Reden und beim Schweigen immer dabei sein können. Weil sie uns daheim fesseln und dabei gleichzeitig in alle Welt und auch in alle Welten, die es gar nicht gibt, mitnehmen. Weil sie uns denken machen und jeder für sich entscheiden kann, was er wann mit ihnen unternimmt.
Ich etwa bin vom Typus Parallelleser und vergrabe mich stets in mehrere Bücher. Mit jenem, das mich dann am meisten packt, gehe ich den Weg als Erstes zu Ende. Wenn es mir eines schwerer macht, gebe ich ihm und mir auch die nötige Zeit. Und für manche Bücher werde ich wohl ein Leben lang brauchen – aber wahrscheinlich sind sie es, die mich unendlich faszinieren.
Aber zurück zu den Kisten. Zaghaft zog ich ein Buch nach dem anderen heraus, drehte es, schlug es auf, las ein paar Zeilen und freute mich, dass ich es endlich wieder einmal in der Hand hatte – oder überhaupt zum ersten Mal bewusst. Noch länger als bei den Heine-Gesamtausgaben hielt ich mich bei einem Buch über die unnötigsten japanischen Erfindungen auf, aber das nur nebenbei.
Jedenfalls kann ich jedem nur raten, wieder einmal vor seine Bücherwand zu treten und herauszunehmen, was er oder sie schon lange nicht mehr herausgenommen hat. Irgendwann, nach Stunden, fiel mir ein Beitrag ein, den ich einmal in einem italienischen TV-Sender gesehen hatte. Da wurde ein besonders reicher Italiener, der auch aus der Formel 1 bekannt ist und dadurch, mit der heutigen Frau unseres Finanzministers liiert gewesen zu sein, auf seiner Yacht interviewt.
Ein Zimmer war voller Bücher, aber es stellte sich heraus, dass es sich nur um Dummies, also um leere Einbände, handelte. Vielleicht, so versuchte ich positiv zu denken, war diese Einrichtung nur eine Maßnahme zur Gewichtsreduktion. Wahrscheinlich aber nicht, und der Mann ist auf andere Art gesunken.
So hübsch Bücher nämlich auch sein mögen: Im Prinzip haben sie immer noch einen tieferen Sinn.