Joachim Fests Lebensbekenntnis
admin | Posted 03/07/2007 | Uncategorized | Keine Kommentare »
Die späten Essays von Joachim Fest zeugen von einer großen
thematischen Bandbreite des im vergangenen Jahr gestorben Historikers und
Publizisten. Die Texte sind jetzt unter dem Titel "Bürgerlichkeit als
Lebensform" erschienen und erinnern noch einmal an die Brillanz seiner
Reden und Betrachtungen.
Das "Wahre im Wirklichen" im Leben von
Fernsehregisseur Jürgen Roland ("Stahlnetz") oder "Thomas Mann
und der Westen" sind nur zwei Beiträge. Fest, der mit seiner
"Hitler"-Biografie und als Mitherausgeber der "Frankfurter
Allgemeinen Zeitung" große Anerkennung fand, hatte mit den kurz vor seinem
Tod im September 2006 noch erschienenen Memoiren "Ich nicht" ein
großes Echo erzielt. Darin beschrieb er, dass es auf dem Fundament eines
richtig verstandenen Bürgertums möglich war, sich auch in der Hitler-Zeit zu
widersetzen.
Im Zentrum seiner Essays steht die in dem Sammelband gleich
als Einleitung wiedergegebene Dankrede Fests bei der Verleihung des Thomas-Mann-Preises
1981 in Lübeck mit seinen Überlegungen zum aussterbenden Begriff des
"Bildungsbürgers", dem Fest nachtrauert und den er aber auch nicht
beschönigt. Denn das Versagen des Bürgertums vor Hitler sei nicht zu leugnen.
Dennoch habe Hitler, so war der Historiker überzeugt, "im Grunde nur
weggeräumt, was noch herumgestanden hatte", denn Fests Lebensresümee war
letztendlich: "Das ganze, was ich erlebt habe, war der Einsturz der bürgerlichen
Welt."
Für die modische Verachtung des Begriffs des
"Bildungsbürgers" hatte Fest selbst nur Verachtung übrig, weil sie
nur von einem großen Missverständnis zeugte. Es gehe nicht um das jederzeit
abrufbare Klassikerzitat oder die Melodie von "O du mein holder
Abendstern". Für Fest ging es vielmehr um "die geformte, vom
elementarsten Hunger nach geistigen Erfahrungen lebenslang geprägte
Persönlichkeit". Dieses Bild könne auch "der violinspielende, vom
Zauber einer Schubert-Sonate ergriffene Reinhard Heydrich", der eine Zeit
lang eine Art Vorzeigeklischee des Deutschen schlechthin gewesen sei, nicht
grundsätzlich ändern. Der Nazipolitiker und SS-Mann Heydrich (1904-1942) war
einer der Hauptorganisatoren des Holocaust.
Dass Neugier und "aufklärerische Neigung" auch im vielleicht
eher profaneren Fernsehgeschäft zu Hause sein können, beschrieb Fest am
Beispiel seines Freundes und Regisseurs Jürgen Roland vom NDR, dem zeitlebens
nichts fremder gewesen sei als "der Typus des beamteten Mitarbeiters, der
in den Anstalten unterdessen überwiegt" (1985 geschrieben). Die
"linkischen Bemühtheiten, mit denen sich der deutsche Film eine Zeit lang
interessant zu machen versuchte, das falsche Sozialgetue, die demonstrative
Vernarrtheit in Wohnküchen und hässliche Menschen", sei seine Sache nie
gewesen. "Unbeirrbar blieb er (Jürgen Roland, Anm.) bei der Wirklichkeit, deren
Wahrheit, wie er aus eigener Anschauung wusste, anders war." Das sei eine
Stärke vor allem dort, "wo den Ideologien so billige Triumphe sogar über
den Augenschein zugeschanzt werden", meinte Fest. "Diese Stärke hat
mit dem zu tun, was man Persönlichkeit nennt", die für Goethe das
"höchste Glück" gewesen sei.
Der Essayband verdeutlicht einmal mehr den großen Verlust,
den eine Gesellschaft mit dem Tod Fests erlitten hat, die noch auf einen öffentlichen
geistigen Diskurs auf beachtlichem, bildungsbürgerlich geprägten Niveau Wert
legt. (dpa)
Joachim Fest
Bürgerlichkeit als Lebensform
Rowohlt Verlag, 368 Seiten
19,90 Eur[D] / 20,50 Eur[A] / 34,90 sFr