Ach Venedig

admin | Posted 29/08/2007 | Uncategorized | Keine Kommentare »

Wie viel wurde schon über Venedig geschrieben! Doch das wunderbare poetische Buch des Bosniers Predrag Matvejević aus Sarajevo ragt aus der Masse heraus.

Von den kaum bis gar nicht beachteten Kleinigkeiten entlang der Wege, der schmalen Kanäle handelt Matvejevićs wunderbares, ganz anderes Buch. Von einem Venedig, das selbst manchen Venedigkenner überraschen dürfte. Es erzählt ganz konkret von “der Wahrnehmung von Feuchtigkeit, Wasser, Fäulnis, Zeit, Schönheit, Vergangenheit, Melancholie, Illusion, Marmor, Sand, Schlamm, Gold, Schatten, Glanz und Trübheit”, so Raffaele La Capria treffend in seiner Einleitung.

Predrag Matvejevic, der 1991 aus Sarajewo emigrierte und heute an der Università La Sapienza in Rom Slawistische Komparatistik lehrt und von dem 1993 das Mittelmeer-Buch “Der Mediterran” erschien, geht durch Venedig, als würde er es gar nicht kennen, als würde es zum ersten Mal überhaupt betreten. Was nicht der Fall ist. Er geht zu den Außenstellen der Lagunenstadt, inspiziert abgelegene rive und rios. Schaut nicht auf die großen Gemälde der Kunstgeschichte, sondern auf das Gras, das zwischen den Steinen wächst und entdeckt es postwendend auf den Bildern eines Giorgione.

Er schreibt über Holzpfähle, Patina und den Friedhof der Möwen, über kunstlose ornamentale Skulpturen an Außenmauern, über Gärten und den Einfluss der Nachbarregionen Istrien und Dalmatien. Und dies ebenso kundig und aufschlussreich wie über das lokale Brot und die Namen traditioneller Osterie, etwa Taverna delle Tortorelle, Kneipe der Turteltauben, oder Da Nano alla Corte dell’Orso, Beim Zwerg am Bärenhof. Die zusehends ersetzt werden durch das linguistische Äquivalent der Schnellabfütterung – snack, bar, break, quick.

Und er schreibt über San Marco. Allerdings ist damit San Marco in Boccalama gemeint, eine überflutete Insel, zu deren Rettung vor vielen Jahrhunderten einst ein Lastschiff und eine Galeere als Barriere versenkt wurden – vergeblich. So versank dieser Ort mitsamt Benediktinerkloster aus dem allgemeinen Gedächtnis.

Predrag Matvejević erkundet die Stadt nicht an Hand aktueller Stadtpläne, sondern errichtet unbekannten Kupferstechern der Barockzeit, die präzise Panoramaansichten schufen, ohne sich jemals in die Lüfte erhoben zu haben, ein Monument. Was anhand zahlreicher Abbildungen im Buch nachzuvollziehen ist.

All das summiert sich in einer eleganten, klaren und niemals manieristischen Prosa zu einer “mentalen Archäologie”, wie dies Raffaele La Capria nennt. Gerade die Details sind Matvejević wichtig, das so leicht Übersehene, die kaum bis gar nicht beachteten Kleinigkeiten. Und zwar nur die Details, das so leicht Übersehene.

Die stummen Zeugen der Vergangenheit werden hier zu sprechenden Liebesobjekten. Kein Wunder, dass er für die italienische Ausgabe im Jahr 2003 mit dem Premio Strega ausgezeichnet wurde.


Der Autor:
Predrag Matvejević wurde 1932 in Mostar geboren, seine Mutter war Kroatin, sein Vater Russe. Er unterrichtete als Professor für vergleichende Literaturwissenschaften an der Sorbonne in Paris und in Zagreb und erregte international Aufsehen mit seinen offenen Briefen, in denen der Intellektuelle sich seit den Siebziger Jahren für verfolgte Dissidenten einsetzte. Er war Vizepräsident des Internationalen Pen-Clubs. Matvejevic lebt heute in Paris und Rom “zwischen Asyl und Exil”.

Das Buch:
Predrag Matvejević: Das andere Venedig. Mit einem Vorwort von Raffaele La Capria. Aus dem Kroatischen von Alida Bremer. Wieser Verlag 2007

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