Berauscht durch Rhabarber

admin | Posted 23/08/2007 | Belletristik | Keine Kommentare »

John Barlows Romandebüt ist historische Fiktion der etwas anderen Art – intelligent, sehr literarisch und süffig. Auch wenn es um ein Rhabarbergetränk geht.

Rhabarber, ein Zwerg und die Grafschaft Yorkshire. Ist es möglich, auf der Grundlage dieser britisch skurrilen, ja geradezu abwegig anmutenden Dreiheit einen Roman zu schreiben, der so vergnüglich wie intelligent daherkommt, der so süffig wie abwechslungsreich und ungemein prachtvoll erzählt ist?
Die Antwort darauf lautet kurz: Ja. Es ist möglich. Sofern man
John Barlow
heißt.
Dieser 40-jährige Engländer, der in Spanien lebt, legt mit “Berauscht” ein ganz erstaunliches Buch vor, in dem es um die Entstehung eines noch heute gern getrunkenen Rhabarbergetränks im Dorf Gomersal in der Nähe von Leeds Ende der 1860er Jahre geht. Die englische Grafschaft Yorkshire ist, auch wenn Außenstehende dies kaum nachvollziehen mögen, Rhabarberland.
Eine etwas verworrene, dann sich als schicksalshaft erweisende Begegnung in einem Zug zwischen dem Wollfabrikanten Isaac Brookes und einem polyglotten buckligen Zwerg mit ausgesprochen rätselhaftem biographischem Hintergrund, der sich selber mal Roderick, mal Rodrigo Vermilion nennt, entscheidet über beider Zukunft. Brookes, der eigentlich im Begriff ist, seine Firma in Frankreich zu verkaufen und sich aufs Altenteil zurückzuziehen, lässt sich vom hoch intelligenten Vermilion zur Gründung einer Rhabarberfabrik überreden.
Vor dem Hintergrund der Anbahnung der Geschäfte vollziehen sich die subtil gezeichneten Entwicklungen der Familie, das qualvolle, lange verheimlichte Sterben der Mutter, das Abgleiten des Vaters in den Wahnsinn, der Tod des älteren Sohnes, eines Säufers, Spielers und Spekulanten, und neue Lieben. Beispielsweise des jüngeren, bisher eher als tumber Tor gehandelten Sohnes. Am Ende floriert die Firma; und Vermilion verabschiedet sich gen Amerika. Dort lässt er sich allerdings nicht in New York nieder, sondern macht sich in den Süden auf. Sein Ziel: Atlanta. Dort will er er eine neue Getränkekreation erschaffen, irgendetwas Dunkles, Süßes, das mit Coca versetzt sein wird.
Mit ähnlich großem Fabuliertalent ausgestattete Schriftstellerkollegen der angelsächsischen Welt, ein T. Coraghessan Boyle etwa oder ein John Irving, dürften mit Neid auf John Barlows nur vordergründig historisches, in vielen Farb-, Stil- und psychologischen Nuancen schimmerndes, berauschendes und überbordendes Erzählwerk schauen. Ihm applaudieren. Und ihren Neid mit Rhabarbersaft hinunterspülen.
 
Der Autor:
John Barlow wurde 1967 in Gomersal nahe Leeds geboren. Er studierte Englische Literatur und Linguistik und unterrichtete an Universitäten in England und Spanien. Heute lebt er in La Coruña. Zu seinen erklärten Lieblingsschriftstellern zählen Giovanni Guareschi, John Updike und Laurence Sterne.

Das Buch:
John Barlow: Berauscht. Roman. Kein & Aber Verlag

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