Fabulieren mit Knackmandeln
admin | Posted 25/08/2007 | Autoren | Keine Kommentare »
Zum 50. Todestag des österreichischen Erzählers Leo Perutz, dem Dichter unter den Spannungsautoren.
Jorge Luis Borges und Theodor W. Adorno waren einer Meinung. Alfred Hitchcock und Friedrich Wilhelm Murnau auch. Der Journalist Richard A. Bermann traf sich in seiner Einschätzung mit Alfred Polgar, mit Hermann Broch, Walter Benjamin und dem englischen Spionageautor Ian Fleming. Der geistige Vater von James Bond wandte sich sogar schriftlich an den von ihm verehrten Leo Perutz: “Ich könnte lange über das Buch schreiben – über die Psychologie, über die Kontinuität, und über die Edgar Poe’sche Menschlichkeit des Ganzen – aber mein Deutsch reicht sicher nicht aus.” Fleming schwang sich am Ende seines Briefes aus dem Jahr 1928 ganz unbritisch dazu auf, Perutz, dem Autor spannender Historienromane, Genialität zu bescheinigen.
Ein Spannungsautor – ein Genie? Nicht nur, sondern mehr. Viel mehr. Carl von Ossietzky meinte gar: ein Dichter! Viele stimmten ein in den Lobgesang auf den 1882 in Prag geborenen, viele Jahrzehnte in Wien lebenden, 1938 nach Tel Aviv geflohenen, am 25. August 1957 in St. Wolfgang verstorbenen und in Bad Ischl begrabenen Schriftsteller Leo Perutz.
“Ihr Buch
Zwischen neun und neun habe ich erhalten und gelesen”, schwärmte beispielsweise der Schriftsteller Ernst Weiß. “Es ist in seiner Art das fabelhafteste, das ich gesehen habe, ich bin überzeugt, wären Sie englischer oder amerikanischer Autor, so würde Ihr Werk in 100000 Exemplaren von London bis zum Sudan gelesen werden.”
Und Kurt Tucholsky fasste den Sog der Lektüre des Perutz-Romans Die dritte Kugel verspielt in eine schöne Vignette: “Das ist ein hübsches Buch. So eins, das man, wenns draußen furchtbar regnet, mit einem Teller Knackmandeln neben sich, tot für die Umwelt, verschlingt, mit der einen Hand blättert man um, mit der zweiten stopft man sich langsam eine Knackmandel nach der andern in den Mund …” [pagebreak]
Hans-Harald Müller charakterisiert in seiner neuen Biographie des österreichischen Autors sehr treffend dessen noch heute lieferbaren und gelesenen Spannungsromane. “In Perutz’ historischen Romanen gibt es also nicht die eine wahre Geschichte,” schreibt der Hamburger Germanistikprofessor, “die große Männer planvoll realisieren, sondern ungezählte Geschichten, deren Eigensinn sich hinter dem Rücken der eher getriebenen als planvoll handelnden Männer nach undurchschaubaren Gesetzen vollzieht.”
Perutz’ Bücher sind mehr als nur technische Bravourstücke. Es sind Spiele mit der Erzählform wie mit der Erzählperspektive, Vexierbilder mit tiefer Bedeutung. Alfred Polgar dazu: “Von den Verlogenheiten, Klebrigkeiten, Künsteleien, Schwindeleien des Metiers ist in seinen Büchern keine Spur.” Die Bücher von Leo Perutz sind fesselnde und blendend konstruierte Meditationen über Zeit und Vergänglichkeit, über Vergeblichkeit, Verblendung und Wahn, Traum und das Versagen des Verstandes.
Nun hat sich der seit mehr als zwei Jahrzehnten für Perutz einsetzende Hans-Harald Müller angeschickt, zum 50. Todestag ein biographisches Porträt vorzulegen.
Das Ergebnis ist eine zuverlässige Synthese des derzeitigen Forschungsstandes, so solide, dass man künftig kaum an diesem Band vorbeigehen kann. Müller schreibt nüchtern. Er will keinerlei stilistische Glanzlichter setzen. Ehrgeizige atmosphärische Schilderungen von Personen und intellektuellen Verhältnissen oder auch Schilderungen von Orten, Städten, Kaffeehäusern liegen ihm fern. Farbe verleihen seiner Prosa die Auskünfte befragter Freunde und Familienmitglieder.
Als Biograph stand er vor einer schwierigen Materie. Müller mit trockenem Humor: “Über die ersten 27 Jahre seines Lebens hat er (Perutz), sieht man von einem Volksschulzeugnis aus Prag, einem Gymnasialzeugnis in Wien und der Wäscherechnung eines Internats in Krumau (Cesky Krumlov) ab, nichts hinterlassen.”
Perutz fing seine Karriere höchst ungewöhnlich an: als Versicherungsmathematiker. Was er seine letzten zehn Lebensjahre wieder war. Erst 1923 entschloss er sich zur Aufgabe dieser Arbeit, abgesichert durch Einkünfte am Familienunternehmen. Literatur war für Leo Perutz kein Instrument stilisierter Selbstmitteilung oder Verschleierung, war keine Arena der Konfessionen oder narzisstischer Analysen innerer Kämpfe. Perutz war umtriebig, hatte viele Freunde, Stammgast in Wiener Kaffeehäusern, reger Konzertgeher, kundiger Sammler von Antiquitäten und Münzen.
“Wenige seiner Tischgenossen hatten davon Kenntnis,” so der Zeichner Benedikt F. Dolbin, “daß der zwar besessene, doch mittelmäßige Tarockspieler Perutz sich in seinen Mußestunden mit Studien der Archäologie des Mittelmeerraums und japanischer Miniaturen des 17. und 18. Jahrhunderts abgab, geschweige denn unheimliche Kurzgeschichten schrieb.”
Als Schreibender war Perutz notorisch langsam und skrupulös. Diese Langsamkeit erklärte sich durch umfassende Recherchen in Bibliotheken wie durch sein Schreibgerät. “Zu einer Zeit, in der Kurt Tucholsky seine Texte auf einer ebenso leichten wie eleganten Remington-Reiseschreibmaschine tippte,” so Müller, “verwendete Perutz einen hölzernen Füllfederhalter mit einer Stahlfeder, die in regelmäßigen Abständen in ein gefülltes Tintenfass getaucht werden musste.”
Das Buch:
Hans-Harald Müller: Leo Perutz. Biographie. Zsolnay Verlag, Wien 2007