Ein Meister in Australien

admin | Posted 03/09/2007 | Autoren | Keine Kommentare »

Der anrührende Roman des Australiers Peter Goldsworthy über Musik, Erwachsenwerden, Schuld und Erinnerung.

Paul ist knapp sechzehn Jahre alt und – es ist das Jahr 1967 – vor kurzem mit seinen musik- und theaterbegeisterten Eltern in die nordaustralische Stadt Darwin umgezogen. Doch in der Klavierstunde darf er, der schon längere Zeit spielt, bei Eduard Keller in den ersten Wochen nicht eine einzige Taste berühren. Sondern muss sich Ausführungen über Wesen und Charakter der einzelnen Finger einer Hand, muss sich eine bizarre Sentenz nach der anderen anhören von diesem vom Alkohol gezeichneten, mürrischen, sehr zurückgezogen lebenden fast 80-jährigen Österreicher, der über einer Bar wohnt, in der sich jeden Tag menschliches Treibgut zum Trinken einfindet.

Der junge Paul ist nicht der einzige, dem dieser alte Mann mit der ledrigen, verwitterten Haut, dem fehlenden kleinen Finger und einer nahezu unverständlichen Aussprache als exzentrische Witzfigur erscheint.

Bis Paul und seine Eltern eine sie elektrisierende Entdeckung machen. Keller lebte vor 1938 in Wien, war Meisterschüler eines Meisterschülers von Franz Liszt und verheiratet mit einer Wagner-Sängerin. Nur: Was hat es mit der Angabe in einem Lexikon auf sich, dass Keller 1944 verstorben ist? Und was mit der eintätowierten Nummernfolge auf Kellers Unterarm, die Paul eines Tages kurz sieht?

Mühsam erweist sich Kellers ungewöhnliche Methode, nach Perfektion zu streben, als fruchtbar. Zeitgleich erlebt Paul Akzeptanz unter Mitschülern, spielt in einer kurzlebigen Rockband. Und davor und danach macht er erste Liebeserfahrungen. So bleibt wenig Zeit, dem sich sachte öffnenden Keller und der Tragik seines Lebens das Ohr zu leihen. Erst recht nachdem Paul aufs Konservatorium nach Adelaide gegangen ist und an Wettbewerben in Europa teilnimmt.

Zehn Jahre später liegt Keller im Sterben und Paul besucht ihn ein letztes Mal. Paul ist mittlerweile privat glücklich, verheiratet und Vater, aber als Klavierlehrer nachhaltig desillusioniert. Denn er weiß quälend genau, dass er nur Durchschnitt ist. Der Tonfall des Ich-Erzählers Paul ist hier noch lakonischer, fast trocken. So trocken und verdorrt wie die Hoffnungen, so verdunstet wie die Aspirationen. Paul hat unmerklich sein Leben ver-spielt. Erst jetzt wird ihm in aller Klarheit deutlich, dass Keller dies die ganze Zeit bewusst war.

Wie Peter Goldsworthy, in Australien ein hochangesehener bekannter Autor, der als Arzt in Melbourne praktiziert, diese Geheimnisse andeutet, ohne alles indezent offenzulegen, ist außerordentlich bemerkenswert. Dass sein Buch erst jetzt, mit fast zwanzigjähriger Verspätung, übersetzt wurde, ist zwar sacht skandalös, doch zu verschmerzen. Ist doch die Lektüre ein Gewinn, eine Entdeckung und ein anrührendes Erlebnis.
Derzeit laufen die Vorbereitungen für die Verfilmung von "Maestro" an, das in Australien zu einem der 40 besten australischen Bücher aller Zeiten gekürt wurde. Eduard Keller wird dabei Klaus Maria Brandauer verkörpern. Den Klavierpart des von der Welt und sich selber vergessenen Pianisten spielt Lang Lang ein, im Gegensatz zu Goldsworthys Keller ein weltbekannter Maestro.

Das Buch:

Peter Goldsworthy: Maestro. Deuticke im Paul Zsolnay Verlag, 2007

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