“Eine Wahrheit tieferer Art”
admin | Posted 03/09/2007 | Autoren | Keine Kommentare »
Rund 60 Filme, mehrere Opern und rund ein Dutzend
Bücher seit Anfang der 60er Jahre – "Ich bin ein guter Arbeiter",
sagt Werner Herzog über sich selbst. Übermorgen feiert der Regisseur und Autor
seinen 65. Geburtstag.
Am wohlsten fühlt sich Werner Herzog am Filmset. Wenn er
sich in seinem neuen dokumentarischen Science-Fiction-Film "Encounters at
the End of the World" mit Forschern am Südpol unterhält oder wenn er in
der Dokumentation "Mein liebster Feind" beruhigend auf das jähzornige
Schauspielgenie Klaus Kinski einredet – immer wirkt Herzog in seinem Element.
Spannende Geschichten kann er von seinen Dreharbeiten in aller Welt erzählen.
Dennoch wirkt er so, als wollte er sich schnell wieder seiner Arbeit zuwenden.
"Während ich hier sitze, habe ich eigentlich fünf Filme
herauszubringen", sagt er mit feinem Lächeln. Am 5. September wird der
inzwischen in Los Angeles lebende Regisseur 65 Jahre alt.
Rund 60 Streifen hat der gebürtige Münchner seit Anfang der
1960er Jahre gedreht, mehrere Opern inszeniert und rund ein Dutzend Bücher
geschrieben. "Ich habe immer ein Leben geführt mit uneingeladenen Gästen,
mit Filmprojekten, die auf einmal da waren und denen ich nicht mehr durch
Ausflüchte beikommen konnte", sagt Herzog. Als besessen will er sich aber
nicht bezeichnen. "Ich bin sicher nicht ein Besessener mit Schaum vorm
Mund. Ich bin ein guter Arbeiter, ich bin ein guter Soldat. "Deshalb liebt
er auch keine lauten Worte, wenn er seine Filme dreht: "Bei mir am Set
wird in der Regel immer ganz, ganz leise gesprochen – so wie wahrscheinlich
unter Chirurgen in einem Operationssaal."
Zu Herzogs berühmten Werken zählen die Filme mit Kinski, mit
dem er als Jugendlicher sogar kurze Zeit gemeinsam in einer Pension in München
wohnte: "Fitzcarraldo", "Nosferatu" oder "Aguirre, der
Zorn Gottes". Leicht war es nicht, Kinski in den Griff zu bekommen, der
während seiner Tobsuchtsanfälle oft seine Rolle hinschmeißen wollte. Doch
Herzog konnte ihn mit leiser Stimme und unerschütterlicher Ruhe jedes Mal zum
Weitermachen überreden. "Ich wusste, worauf ich mich einlasse und ich
wusste auch immer, alles das, was an Skandalen und Katastrophen über ihn ins
Tagesgeschehen herein kam, das würde keine Rolle spielen, weil hinterher würden
wir einen Film auf der Leinwand haben, und der würde bleiben", beschreibt
Herzog seine Hassliebe zu Kinski.[pagebreak]
So penibel Herzog als Regisseur arbeitet, so großzügig geht
er mit der Wahrheit um. Auch wenn viele seiner Werke dokumentarisch wirken,
sind sie oft inszeniert, weil die Wirklichkeit nicht seinen filmischen
Vorstellungen entsprach. Wer die Fakten überprüfen will, beschimpft er als
Buchhalter. Er wolle eine Wahrheit tieferer Art finden, "etwas was
jenseits von Realität ist, jenseits vor allem von Fakten ist." Ekstatische
Wahrheit nennt er das.
Überhaupt hat Herzog einen Hang zu großen Geschichten und
Bildern, überwältigenden Emotionen und gewaltigen Inszenierungen, was auch in
seiner Filmmusik zum Tragen kommt. Auch die Oper erschien ihm deshalb verlockend,
obwohl er die Inszenierung der Wagner-Oper Lohengrin bei den Bayreuther
Festspielen 1987 anfangs ablehnte. Doch Festspielleiter Wolfgang Wagner
schickte ihm seine Lieblingsaufnahme des Werkes, die Herzog dann überzeugte:
"Das ist so groß, an das muss ich mich heranwagen", beschreibt er
seine Gefühle, die ihn damals zur Zusage bewegten. Es folgten weitere
Opern-Aufträge in Catania, Paris und auch an der Mailänder Scala.
Ausprobiert hat Herzog, der eigentlich Werner Stipetic hieß und aus
Protest gegen den väterlichen Atheismus Katholik wurde, schon viel. Er
arbeitete auf den Docks von Manchester, war Rodeoreiter und schuftete im Akkord
als Stahlarbeiter. Das Filmhandwerk brachte er sich selbst bei. Zu seinen
ersten Erfolgen zählt 1967 der Hauptpreis des renommierten Filmfestivals in
Oberhausen für "Letzte Worte". Heute arbeitet er viel mit seinem
Bruder Lucki zusammen, der Produzent in München ist. Die internationale
Bedeutung des Neuen Deutschen Films der vergangenen siebziger und frühen achtziger
Jahre ist nicht zuletzt Herzog geschuldet. Im eigenen Land ist er aber
mittlerweile eher als Opern- denn als Filmregisseur anerkannt. (dpa)