“Der Brenner” online

admin | Posted 31/10/2007 | Uncategorized | Keine Kommentare »

Seit heute Mitternacht ist eine bedeutende
österreichische Kulturzeitschrift online abrufbar. Der vom Schriftsteller und
Verleger Ludwig Ficker herausgegebene "Brenner" erschien von 1910 bis 1954.

"Ihr Brief hat mich natürlich nicht angenehm berührt,
obwohl ich mir ja Ihre Antwort ungefähr denken konnte. Ja, wo meine Arbeit
untergebracht werden kann, das weiß ich selbst nicht! Wenn ich nur selbst schon
wo anders untergebracht wäre als auf dieser beschissenen Welt", schreibt
Ludwig Wittgenstein am 22. November 1919 an den Verleger Ludwig Ficker über
seinen "Tractatus logico-philosophicus".

Im Brenner-Verlag ist der Tractatus nicht erschienen.
Dennoch sind Ludwig Fickers Verlag und seine Zeitschrift wichtige Träger
österreichischer Kulturgeschichte. Vorbild des "Brenner" war "Die Fackel" von
Karl Kraus (der Titel "Brenner" verweist somit nicht nur auf den Gebirgspass,
sondern auch auf Kraus’ Zeitschrift). Den erstarrten bürgerlichen und
provinziellen Kulturbetrieb Tirols aufzubrechen war ein Ziel von Fickers,
weshalb er zunächst fast nur Tiroler Autoren publizierte (Carl Dallago, Max von
Esterle, Hugo Neugebauer, Karl Röck, Ludwig Seifert und Arthur von Wallpach).
Bald erhielt die Zeitschrift jedoch Beiträge von Autorinnen und Autoren aus dem
gesamten deutschen Sprachraum und entwickelte sich bis zum Ersten Weltkrieg zu
einem brisanten kulturkritischen Blatt mit expressionistischem Einschlag.

Die
Lyrik Georg Trakls, Fickers wichtigster literarischer Entdeckung, gab der
Zeitschrift von 1912 bis 1914 eine besondere Prägung. Der Erste Weltkrieg
führte unter Beibehaltung der kritischen Urteilsschärfe zu einer intensiven
Auseinandersetzung um Christentum und Kirche und damit zu einem neuen
programmatischen Schwerpunkt. Seit 1926 widmete sich die Zeitschrift einer
stark visionär ausgerichteten Erörterung theologischer Zeitfragen. Aus einem
Blatt der literarischen Avantgarde war eine Plattform einer auf christliche
Erneuerung bedachten Avantgarde geworden. Nach dem Zweiten Weltkrieg erschienen
eschatologische Beiträge poetischer und essayistischer Art, aber auch
Rückblicke auf die erst jetzt im vollen Ausmaß erkannte Bedeutung der
Beziehungen des “Brenner” zu Trakl, Dallago, Rilke, Wittgenstein und Ebner.

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Die digitale "Brenner"-Edition liefert den gesamten Text der
Zeitschrift sowie alle Heftseiten als Faksimiles. Ein innovatives
Navigationsmodul wurde implementiert, mit dessen Hilfe nicht nur von Seite zu
Seite, von Heft zu Heft oder von Jahrgang zu Jahrgang navigiert werden kann,
sondern auch zu im jeweiligen Zusammenhang relevanten Textpassagen. Die
graphische Umsetzung kompensiert das Fehlen jener haptischen und visuellen
Informationen, die nur durch die physische Präsenz des gedruckten Magazins
gegeben sind, und schafft so einen Mehrwert der digitalen Edition.

Neben den Möglichkeiten der Volltextsuche und der Suche nach
Wortformen bietet der digitale “Brenner” eine Namendatenbank, in der Metadaten
über sämtliche reale und fiktionale Personen, die im der Zeitschrift genannt
werden, zur Verfügung stehen. Somit können Querverbindungen zwischen den Autoren
und anderen realen Personen sowie allen fiktiven Personen aufgezeigt werden.
Eine statistische Auswertung ergibt etwa, dass Jesus Christus mit 2689
Erwähnungen vor Sören Kierkegaard (848), Karl Kraus (827), Carl Dallago (633)
und Georg Trakl (545) die Liste der häufigsten Namensnennungen anführt.

Die Edition wurde für kulturgeschichtlich Interessierte entwickelt. Die
im Interface gebotenen Faksimiles der einzelnen Heftseiten ermöglichen zudem
die quelleneditorisch korrekte Zitierung aller Texte.

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