Eine Frage des Risikos
admin | Posted 22/10/2007 | Belletristik | Keine Kommentare »
Thomas Ballhausens Erzählung "Die Unversöhnten" schickt einen Stier-Menschen in eine Stadt am Rand der Apokalypse. Der Priessnitz-Preisträger 2006 im Gespräch mit Seite 4 über die Entstehung des Buches, Ordnungssysteme und den Wert des antiken Mythos für die Gegenwart.
Jedes Buch hat sein Schicksal, seine Geschichte, auch seine Vor-Geschichte. Wie entstand Ihre Erzählung "Die Unversöhnten", was hat Sie angetrieben, sie zu schreiben?
Der Grundstein der "Unversöhnten" ist eine Erzählung, die ich 2005 beim Literaturpreis Steyr eingereicht und damit auch den 2. Platz gemacht habe. Die darin verhandelten Themen wie Mythologe, Urbanität und Erinnerung/Vergessen haben mich auch darüber hinaus begeistert – und wohl auch angetrieben. Ich habe einfach weiterhin gesammelt, den Text ausgebaut, umstrukturiert, bin viel in mir wichtigen Städten gewesen. Ein wesentlicher Ansporn war sicherlich die Verleihung des Priessnitz-Preises an mich, was mich geehrt und extrem gefreut hat. Thematisch hätte ich aber auch ganz unabhängig davon da weitergemacht, wo ich nach "Geröll" aufgehört habe: bei reflexiver Prosa, bei einem dichten, verdichtenden Erzählen.
Ihre Erzählung ist in Absätze gegliedert, die, ähnlich Wittgensteins "Tractatus", durchnummeriert sind. Was steckt hinter diesem Ordnungssystem?
Ich wollte ein Buch schreiben, das formal neuen Medienansprüchen genügt, inhaltlich keinen Satz zuviel enthält und trotzdem lineares Erzählen bzw. reflexive Passagen nicht ausschließt. Sehr schnell war ich anhand der thematischen Schwerpunkte bei den vier Hauptabschnitten angelangt, die ich dann in stringente Paragraphen untergliederte. Der Hinweis auf den "Tractatus" freut mich, ich fühle mich da auf eine gute Weise ertappt. Ich wollte ein hartes, aber auch philosophisches Buch schreiben, eine lesbare Verdichtung dieser riesigen, mich beschäftigenden Themenblöcke. Das hat dann zur angesprochenen Gliederung geführt – und natürlich auch zum entsprechenden Figureninventar.
Ihr Protagonist ist eine Figur aus der antiken Mythologie: Asterios, der traurige Stier-Mensch. Was interessiert Sie an dieser antiken Figur?
Asterios, der eher als Minotaurus bekannt ist, war für mich immer ein stilles, bestialisches Kellerkind der antiken Literatur. Er ist die personifizierte Familienschande, das Ergebnis eines Aufbegehrens gegen die Götter und eines Fluchs, er erfüllt eigentlich nur eine fast schon grammatikalische Funktion. Und seine Überwinder werden ja auch nicht wirklich glücklich. Ich wollte dieser Figur eine Stimme geben, ihr ein alternatives Leben andichten, ohne ihre negativen Eigenschaften zu beschönigen oder gar zu tilgen. Die Bestie sollte keineswegs entschuldigt werden, ich wollte etwas wie eine neue Perspektive auf eine Randfigur des antiken Potentials, das ja immer noch spürbar ist, werfen.
Was kann der antike Mythos für die heutige Zeit überhaupt noch leisten?
Der Einfluss des antiken Bildungsguts und auch der antiken Mythologie ist deutlich zu spüren, er ist trotz Christianisierung usw. nachweisbar geblieben. Hier werden Geschichten erzählt, die uns tief berühren, die uns sozusagen "erwischen" und auch bis heute nichts von ihrer Drastik, Dramatik oder auch Schönheit eingebüßt haben. Die Themen der antiken Mythologie sind von einer beeindruckenden Zeitlosigkeit, von einer unumstößlichen Gültigkeit.
Welche Themen sind es aus Ihrer Sicht wert, literarisch aufgearbeitet zu werden?
Das literarische Thema hat für mich viel mit der Perspektive zu tun. Wahrscheinlich gibt es kein wirklich unliterarisches Thema, nur falsche oder auch schlechte Perspektiven, schlecht gewählte Medienformen. Jede Quelle ist nur so gut wie die Fragen, die wir bereit sind zu stellen. Literatur ist immer auch eine Frage des Risikos, des persönlichen Einsatzes. Wir sollten in jeder Hinsicht für Literatur "brennen" – nur nicht wortwörtlich.
Sie arbeiten vermutlich schon an Ihrem nächsten Buch. Worauf dürfen wir gespannt sein?
Neben einigen wissenschaftlichen Arbeiten schreibe ich derzeit an einer neuen, umfangreichen Erzählung, die voraussichtlich 2009 erscheinen wird. Über das Thema möchte ich aber eigentlich noch nichts verraten …
Thomas Ballhausen
Die Unversöhnten. Erzählung
Innsbruck: Skarabaeus Verlag, 100 Seiten
14,90 Eur[D] / 14,90 Eur[A] / 26,80 CHF