Internationale Pressestimmen zur Nobelpreisträgerin Doris Lessing
admin | Posted 15/10/2007 | Autoren | Keine Kommentare »
Auf die Begründung der Akademie, Lessing sei eine "Epikerin weiblicher Erfahrung, die sich mit Skepsis, Leidenschaft und visionärer Kraft eine zersplitterte Zivilisation zur Prüfung vorgenommen hat", meinte die Autorin: "Oh Gott, haben sie das über mich gesagt?" Die Meinungen in der internationalen Presse sind durchaus geteilt.
"Ich weiß nicht, warum ihr Herz erweicht ist", sagte die 87-jährige Doris Lessing vergangenen Donnerstag in einem TV-Interview mit dem Sender BBC. "Meine Arbeit hat sich nicht verändert." Aber vielleicht hätten sie sich verändert, betonte sie mit Blick auf die Schwedische Akademie. In den 60er Jahren hätte die Akademie extra "einen ihrer Günstlinge" zu ihr geschickt, um ihr zu sagen, "dass sie mich nicht mögen und ihn mir nie geben werden". "Nun haben sie entschieden, ihn mir zu verleihen. Warum? Warum mögen sie mich jetzt mehr als vorher?" Eine mögliche Antwort: "Sie können den Nobelpreis keinem Toten geben. Deshalb haben sie wahrscheinlich gedacht, ihn mir besser jetzt zu geben, bevor ich abkratze."
Sehr differenziert setzte sich die britische Presse mit der Zuerkennung des Literatur-Nobelpreises an Doris Lessing auseinander. Ein Überblick über die internationalen Pressestimmen:
"Britisch, bodenständig und alt genug, um harmlos zu sein, richtig?" fragt "The Guardian" aus London, und gibt gleich die Antwort: "Nicht ganz. Sie mag hier seit Jahrzehnten leben, doch wurde Doris Lessing in Persien geboren und wuchs in Rhodesien auf. Sie ist eine Emigrantin. Und ihre Art zu schreiben verfügt über die Sensibilitäten eines Außenseiters. Das von ihr gezeichnete Großbritannien ist häufig ein unbequemer Ort." Fazit: "Eine dissonante Stimme, eine nicht gesellige Autorin gehört nun zum elitärsten Literaten-Club".
Als "nicht so kontroversiell wie ihre beiden Vorgänger Orhan Pamuk und Harold Pinter" bezeichnet die "New York Times" die Literatur-Nobelpreisträgerin Lessing, obwohl sie "eine Leidenschaft für soziale und politische Themen" habe. Die Auseinandersetzung mit aktuellen politischen Situationen der beiden Vorgänger hätten Kommentatoren dazu getrieben, die Schwedische Akademie zu verdächtigen, die Gewinner des Nobelpreises zum Teil aus nicht-literarischen Gründen zu wählen.
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Für Teresa Cremisi, französische Verlegerin der Literatur-Nobelpreisträgerin, ist "Doris Lessing ein richtiger kleiner Balzac, der ein sehr dichtes Oeuvre geschaffen hat." Zudem habe sie sich eine gewisse Frechheit bewahrt, was große Schriftsteller auszeichne, so Cremisi in der französischen Tageszeitung "Le Monde" (Online-Ausgabe). Wie Cremisi hat auch Lessings italienische Verlegerin Inge Feltrinelli angekündigt, nach Stockholm zu reisen. Lessing sei für sie "eine außergewöhnliche, weil moderne Frau. Nach ‘Das andere Geschlecht’ von Simone de Beauvoir war ‘Das goldene Notizbuch’ für mich eine echte Bibel."
"Doris Lessings Bücher haben nie vor der Wahrheit zurückgeschreckt", titelt die Online-Ausgabe der britischen "Times". Im Hinblick auf den bevorstehenden 88. Geburtstag der Literatur-Nobelpreisträgerin, der es nicht an Ruhm mangele, bezeichnet sie die Entscheidung für Lessing als "passendes Geschenk". Sie sei eine der am meist geschätzten britischen Schriftstellerinnen.
Humorvoll nimmt der "Messaggero" aus Rom die Verleihung an Lessing auf: "Drei Nobelpreise für Literatur seit 2001. Nach der Verkündung der Verleihung an Doris Lessing könnte man sogar an die Rückkehr des britischen Imperialismus unter anderen Vorzeichen denken." Besonders auf die politischen Verdienste der Autorin rekurriert dagegen der "Corriere della Sera": "Doris Lessing ist eine jener Autorinnen, die sich niemals einer Kritik enthalten haben, auch nicht einer drastischen." Der rechtsliberale "Libero" zeichnet dagegen in seiner Berichterstattung den "Weg einer geläuterten Feministin" nach, die seit dem "Goldenen Tagebuch" 1962 keine künstlerischen Höhepunkte mehr geschaffen habe. (APA)