Balsam für die Seele

admin | Posted 25/11/2007 | Preise und Events | Keine Kommentare »

Gabriella Baumann- von Arx ist Journalistin, Buchautorin und Verlegerin: 2004 gründete sie den Wörterseh-Verlag.

Allen Unkenrufen zum Trotz – es gibt sie noch: Menschen, die in Bücher eintauchen und in ihnen leben. Gabriella Baumann-von Arx ist eine von ihnen.

Sie hiess Bärbeli. Bärbeli lebte zwischen zwei Buchdeckeln eines nicht gerade dicken Büchleins, dessen Umschlag rot war. Weinrot. Rückblickend denke ich, es war Bärbeli, die heute wohl längst eine Barbara ist, die mich zum Lesen brachte.

Mein Bärbeli gibt es nicht mehr. Im Jahr 2000 kam zwar ein Büchlein unter diesem Titel auf den Markt, aber mit meinem Bärbeli hat es offenbar nichts zu tun, schliesslich hatte ich, als diese Geschichte veröffentlicht wurde, bereits eine zweijährige Tochter und lief mit dem Gedanken schwanger, ein zweites Kind zu bekommen. Mein Bärbeli fiel in eine frühere Zeit. In eine, in der ich selbst Kind war.

“S’Bärbeli”! Ich könnte die Geschichte nicht mehr nacherzählen, ich erinnere mich nur daran, dass sie mich sehr, sehr traurig machte. S’Bärbeli, so viel weiss ich noch, war eine Vollwaise. Ich nahm das Büchlein – unter Tränen – mit ins Bett. Tröstete damit beide, s’Bärbeli und mich. Andere Kinder hatten einen Teddybären, ich hatte Bärbeli. Ein Buch.

Danach war ich infiziert. Ich las, wann immer ich konnte. Ich las “Onkel Toms Hütte” und – nein, nicht “Die rote Zora und ihre Bande” – die las ich irgendwie nie, sondern eine Serie zig dicker Bücher über eine Krankenschwester, deren Titel ich vergessen habe. Später las ich meinen jüngeren Geschwistern vor – Lindgrens “Wir Kinder aus Bullerbü” und “Immer dieser Michel”.

Dann entdeckte ich “Der rote Seidenschal” von de Cesco und bald schon “Der Steppenwolf” von Hesse und auch seinen “Siddartha”. Ich verschlang Max Frischs “Stiller” und
seinen “Homo Faber” und von Horvaths “Jugend ohne Gott”. Später – ich war längst zweifache Mutter – entdeckte ich Krimis. Der sagenhafteste: “Letzter Tanz” von Jeffery Deaver.

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Ich bin eine, die schlecht still sitzen kann, für Yoga und Meditation bin ich denkbar ungeeignet. Meinen Kopf leere ich, wenn ich ein Buch in der Hand halte, das mich packt. Wenn ich die kochende Milch vergesse, nicht mal den Geruch wahrnehme, wenn sie überläuft, ich voll eingetaucht bin in diese wunderbare, ganz eigene Welt, die zauberhafterweise aus nur gerade 26 Buchstaben erschaffen ist. Wenn ich die letzte Seite eines Buches bewusst langsam umschlage, weil ich nicht aufwachen will.

Einen Film sieht man. Eine Hörbuchkassette hört man. Eine Theatervorführung erlebt man. Ein Buch, ein gutes, liest man – NICHT! Man lebt es! Die Aussenwelt wird zur Fata Morgana, die fürsorgliche Mutter zum Raben: “Ich koche erst wieder, wenn ich das Buch zu Ende gelesen habe. Wenn ihr vorher essen wollt – bitte -, bedient euch selbst.” Meine Mutter hat oft mit mir geschimpft: “Glaub mir, man kann von Buchstaben nicht leben, leg das Buch zur Seite und – iss!”

Das schönste Kompliment, das ich je für eines meiner Bücher bekommen habe, ist denn auch folgendes: “Ich schaffte es nicht, ihr Buch für die Zeit wegzulegen, die ich gebraucht hätte, mir ein Glas Wasser zu holen. Ich bin beinahe verdurstet!” Der Mann, der das sagte, hatte “Solo” gelesen, meine Nahaufnahme des Alleingängers Ueli Steck. Der Mann ist nicht verdurstet. Zum einen weil man nicht so schnell verdurstet, zum anderen vielleicht auch, weil Buchstaben Balsam sind. Balsam für die Seele.

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