Das Unvollendete

admin | Posted 08/11/2007 | Uncategorized | Keine Kommentare »

Heinrich August Winkler: der 30-jährige Krieg als UrkatastropheFoto: Ulrich Winkler

Mit der Essay-Sammlung "Auf ewig in Hitlers Schatten?" legt der Historiker Heinrich August Winkler eine vorläufige Essenz seines Schaffens vor.

Der Titel "Auf ewig in Hitlers Schatten" mag ein wenig in die Irre führen. Denn Winklers "Anmerkungen zur deutschen Geschichte" untertitelter Band schlägt einen weiten Bogen vom alten Preußen über die Revolution von 1848 bis hin zur Analyse der westlichen Wertegemeinschaft, in die Deutschland nach 1945 nicht nur Eingang gefunden, sondern sie maßgeblich mitgestaltet hat.

Den Schwerpunkt freilich bilden Überlegungen zur Weimarer Republik und Hitlers Aufstieg zur Macht. Unter der Überschrift "Die abwendbare Katastrophe" untersucht der 69-Jährige in bislang kaum erfahrbar gemachtem Detailwissen die Bedingungen, unter denen der spätere "Gröfaz" am 30. Januar 1933 an die Reichskanzlerschaft gelang. Dies ist eins der spannendsten Kapitel dieser Geschichtsexkursion. Er schreibt: "Ein Zufall oder ‘Betriebsunfall’ war Hitlers Ernennung zum Reichskanzler (…) nicht. Es gab historische Gründe, die diese Krisenlösung über andere obsiegen ließ. Aber daraus folgt noch nicht, dass die Berufung des nationalsozialistischen Parteiführers zum Reichskanzler zwangsläufig war."

Mit "historischen Gründen" bezieht sich der emeritierte Professor nicht zuletzt auf den 30-jährigen Krieg, den er als "Urkatastrophe" Deutschlands bezeichnet. Dies ist auch insofern interessant, als dass die meisten Historiker die unmittelbaren Gründe für das Scheitern der ersten deutschen Demokratie, der Weimarer Republik, bis heute im Ersten Weltkrieg suchen. Der daraus resultierende Versailler Vertrag, so die Mehrheitsmeinung, sei für das "unbesiegte" Deutschland so verheerend gewesen, so ganz und gar unaktzeptabel, dass der Untergang, der de facto schon 1930 mit der Einsetzung einer Präsidialdemokratie statt einer parlamentarischen seinen Anfang nahm, programmiert gewesen sei. Winkler hingegen sieht in der kollektiven deutschen Erfahrung von Not, Destabilisierung und Hunger die Grunddisposition für die deutsche Mentalität, die immer einen starken Mann an ihrer Spitze wissen wollte. Nicht zu vergessen sei allerdings auch der Umstand, dass die Errichtung einer Demokratie im November 1918 dem deutschen Wesen nicht entsprochen habe. Demokratie – das war die Staatsform der Sieger, und besiegt habe man sich ja nicht gefühlt.

Im Jahr 1945 sieht Winkler den entscheidenden Wendepunkt der deutschen Geschichte. Ausgehend von diesem Jahr der Befreiung widmet er sich dem Streit über das Geschichtsbild der Deutschen, dem Historikerstreit, der Wiedervereinigung und dem Phänomen "westliche Wertegemeinschaft". Deren Ausgang und mögliche Weiterentwicklung bildet den Schlusspunkt seiner Überlegungen: "Das Projekt des Westens ist unvollendet, und wird es vermutlich immer bleiben. Aber es lässt sich weiterentwickeln. Wenn der Westen den Gedanken der Wertegemeinschaft nicht nur feierlich beschwört, sondern ernst nimmt, kann er noch viel für die allgemeine Geltung der Werte tun, die wir aus guten historischen Gründen die ‘westlichen’ nennen."

Die in diesem Band versammelten Essays sind über viele Jahre verstreut fast alle in Zeitungen erschienen. Als Bündelung erlaubt er einen neuen Blick auf Deutschlands Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Ein überdurchschnittlich kluges Buch, für dessen Lektüre ein gewisses Maß an historischem Wissen allerdings unverzichtbar ist.

Heinrich August Winkler: Auf ewig in Hitlers Schatten, C.H. Beck, 222 Seiten, 19,90

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