Mord aus vergessener Zeit
admin | Posted 26/11/2007 | Autoren | Keine Kommentare »
Der Herner Autor Jan Zweyer legt seinen neuen Roman in einer vergessenen Zeit an: der Ruhrgebiets-Besatzung in den 1920er Jahren.
1923: Deutschland kann die Reparaturzahlungen, die der Versailler Vertrag dem Land nach dem verlorenen 1. Weltkrieg aufgedrückt hat, nicht mehr leisten. Die Weimarer Republik versinkt in Armut und Chaos. Um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen - vor allem um Kohle geht’s – besetzen französische und belgische Truppen das gesamte Ruhrgebiet. Reichskanzler Wilhelm Cuno ruft die Bevölkerung zum passiven Widerstand auf. Zwar erntet er damit Zuspruch in weiten Teilen des Volkes; sein Appell führt indes wenig später zum totalen Zusammenbruch der deutschen Wirtschaft – und alsbald zu seiner Abwahl.
Vor diesem historischen Hintergrund legt Jan Zweyer seinen ersten historischen Kriminalroman an. Ein dankbares Setting, und eines, das in der bisherigen Populärliteratur kaum eine Rolle gespielt hat. Als eines Tages das junge Dienstmädchen Agnes Treppmann in Herne ermordet wird, fällt der Verdacht schnell auf zwei französische Soldaten. Das Militärgericht der Besatzungsmacht spricht sie trotz handfester Beweise jedoch frei – eine weitere Demütigung für das geschundene Land.
So zumindest empfindet die oberste Kriminalbehörde in Berlin und beauftragt den jungen Halbfranzosen Peter Goldstein, den Fall zu prüfen und die Schuld der vormals Angeklagten zweifelsfrei nachzuweisen. Zwar weiß man in Berlin, dass die Franzosen die verdächtigen niemals an die deutsche Justiz übergeben würde; ein Erfolg Goldsteins indes wäre ein Erfolg Deutschlands vor dem Völkerbund in Genf – ein politischer Sieg. Goldstein fährt ins Ruhrgebiet nach Herne und verstrickt sich bald in einem Sumpf aus Korruption, Siegerjustiz, Franzosenangst und Ohnmacht.
Zweyer war sich nach eigener Aussage anfangs nicht sicher, ob er seinen packenden Roman "Franzosenliebchen" nennen solle; der Begriff sei zu einseitig negativ besetzt. Der 54-jährige Wahl-Herner blieb dabei und tat gut daran. Entstanden ist ein spannendes wie korrekt recherchiertes Panorama einer fast vergessenen Zeit – mit all ihren politischen wie menschlichen Debakeln. Schließlich waren die Franzosen zumeist junge unerfahrene Soldaten – für die deutschen Mädchen ebenso attraktiv wie junge deutsche Männer. Von denen gab es nach 1918 allerdings nicht mehr so viele. Atmosphärische dicht und spannend erzählt Zweyer von der Sisyphos-Arbeit des jungen Ermittlers in einer Welt, die von Verfall und schwachen Hoffnungen geprägt ist. Und er kündigt an, dass "Franzosenliebchen" der erste Teil einer geplanten Goldstein-Trilogie sein soll. Krimi-Fans können sich freuen; Zweyer ist ein sicherer Geschichtsdetektiv. Die Weimarer Republik als Krimi-Hintergrund ein fast unbearbeitetes Sujet. Das gibt’s noch viel zu tun.
Jan Zweyer: Franzosenliebchen, Grafit, 348 Seiten, 11