… wie sehr du unsere Mutter geliebt hast
admin | Posted 02/11/2007 | Belletristik | Keine Kommentare »
Die Korrespondenz des Autors António Lobo Antunes mit seiner Frau aus dem Kolonialkrieg in Angola 1971 bis 1973 liegt nun als Buch vor.
Der große portugiesische Schriftsteller António Lobo Antunes hat eine Zeitungskolumne vor einigen Jahren mit dem bizarren Satz beendet: "Und nun entschuldigen Sie mich bitte: ich kann diese Chronik weder beenden noch korrigieren, denn meine Tochter Joana hat mich gerade angerufen, um mir zu sagen, dass ihre Mutter gestorben ist."
Wie er diese Frau vor dreieinhalb Jahrzehnten direkt angesprochen hat, kann man jetzt ungekürzt nachlesen. Joana und ihre Schwester Maria José Antunes haben die Briefe des ewigen Nobelpreis-Anwärters als junger Militärarzt an seine Frau aus dem Kolonialkrieg in Angola 1971 bis 1973 komplett veröffentlicht. "Dieses Buch ist das Buch der Liebe unserer Eltern, aus der wir entstanden sind und auf die wir stolz sind", schreiben sie im Vorwort von "Leben, auf Papier beschrieben". Sie teilen mit, dass die Mutter selbst die Veröffentlichung für einen Zeitpunkt nach ihrem Tod gewünscht hat.
Für Antunes-Leser sind die Briefe eine wahre Schatzkiste, um das Erlebnis von Portugals Kolonialkrieg in Afrika als viel benutzten Romanstoff besser zu begreifen – und vielleicht auch den Autor selbst. Der präsentiert sich in den Briefen als grenzenlos liebender, stets von sexuellem Begehren angefüllter und am Kriegswahnsinn verzweifelnder junger Mann.
Die erste Tochter des frisch verheirateten Paares ist gerade im fernen Lissabon zur Welt gekommen, die zweite wird während der Afrika-Zeit von Antunes geboren. Geradezu atemlos liest man Antunes’ Schilderung der unglaublichen und erfolgreich bewältigten Anstrengung, inmitten dieser Kriegshölle seinen ersten Roman "Elefantengedächtnis" zu schreiben.
[pagebreak]
Aber bei der Lektüre dieses Buches kommt auch Irritation auf. Immer und immer wieder wird die geliebte Ehefrau als "schöner Schatz", "geliebte Liebste" oder "meine geliebte Gazelle, mein liebster Diamant, meine Perle und mein Stern" angesprochen. Man schaut auf Familienfotos mit der sehr schönen Frau und jungen Mutter. Doch ihr Name (Maria José) bleibt – ebenso wie in der bizarren öffentlichen Todesmitteilung – ungenannt. Auch die Töchter teilen ihn in ihrem Vorwort nicht mit.
Angesichts der Vorstellung des Briefbandes als "Buch der Liebe" mutet es seltsam an, dass das schnelle Ende dieser Liebe dem Leser des Briefbandes verheimlicht wird. Editorisch wäre wohl auch ein Hinweis auf die strengen Zensurbestimmungen am Platz gewesen, denen der Schreiber unterworfen war.
Antunes und seine Frau wurden fünf Jahre nach der Rückkehr des Schriftstellers aus Angola geschieden. Der Autor selbst hat in dem Interview-Buch "Gespräche mit António Lobo Antunes" berichtet, wie er sich 1978 von ihr trennte und einige Jahre komplett in manische Spiel- und Sexsucht abstürzte. Maria José verbot ihm mehrere Jahre jeden Kontakt mit den Töchtern. Eine Versöhnung gab es erst wenige Monate vor dem Tod der Ex-Frau.
Bei einer kurzen Lesereise im September in Deutschland hat der 65 Jahre alte und inzwischen krebskranke Schriftsteller in der ihm eigenen Mischung aus Selbstentblößung und Selbstverweigerung als öffentliche Person zum Briefband Stellung bezogen: "Das Buch ist nicht von mir", sagte er dem "Hamburger Abendblatt". Sein Name stehe nur aus einem Grund darauf: "Weil der sich besser verkauft. Meine Töchter wollten dieses Buch. Sie haben gesagt: "Damit all die Frauen mit denen du später zusammen warst, wissen, wie sehr du unsere Mutter geliebt hast." (dpa/Thomas Borchert)
António Lobo Antunes
Leben, auf Papier beschrieben.
Aus dem Portugiesischen von Maralde Meyer-Minnemann
Luchterhand Verlag, 528 Seiten