“Man ist so allein”

admin | Posted 12/03/2008 | Ratgeber | Keine Kommentare »

Claudia Hempel: nie aufgebenFoto: starke fotografen

Ohnmacht, Angst und Kampf ums Kind – die Journalistin Claudia Hempel hat Gespräche mit Müttern geführt, deren Kinder in den braunen Sumpf gerutscht sind.

Dass Sonja den Absprung aus der rechten Szene ihres Dorfes in Ostdeutschland am Ende doch noch geschafft hat, bezeichnet ihre Mutter im Rückblick als reines Glück. Sie hat eben nicht aufgegeben, die Mutter. Sie hat immer wieder das Gespräch gesucht, auch dann noch, wenn sie das Gefühl hatte, gegen eine Wand zu reden. Es war dann wohl doch vor allem die familiäre Bindung, besonders die zu ihrer Mutter. Und ein bisschen auch zu ihrem Vater, einem Italiener.

Bei Marcos Mutter sieht das ein wenig anders aus. Einmal hat sie ihn vor der Polizei gedeckt, als Rechtsradikale Polizeiautos mit braunen Aufklebern beleidigt haben. Das würde sie heute nicht mehr machen, sagt sie. Von seiner Clique habe er sich wohl gelöst, doch nur um daraufhin eine neue Stufe des Neonazitums zu erklimmen. Welche genau, das weiß sie nicht. Marco scheint verloren, seine Mutter hat aufgegeben. "Man ist so allein mit dieser Geschichte", sagt sie.

Claudia Hempel hat ein wichtiges Buch geschrieben. Zahlreiche Gespräche mit Müttern von jungen Neonazis hat sie geführt. Ihre Namen nennt sie nicht, aus Vorsicht. Nazis kennen kein Schamgefühl – weder die Alten noch die Neuen. Aufgefallen ist ihr dabei, dass die Gesprächsbereitschaft von Müttern und die vermittlung zu ihnen durch Sozialarbeiter im Osten wesentlich höher ist als im Westen. Das mag aber auch daran liegen, dass Neonazismus im Westen eine andere Qualität erreicht hat. Im Sinne von "Im Osten sind die Schläger, im Westen sind die Denker". Vielleicht ist das aber auch nicht so, vielleicht ist im Westen die Scham, über die missratenen Kinder zu sprechen, einfach nur größer. Wie auch immer, jede Mutter hat es, so die Beobachtung der 42-jährigen Journalistin, eine große Überwindung gekostet, sich Hempel anzuvertrauen.

Herausgekommen ist ein Buch, das sowohl erschüttert als auch hoffen lässt. Unbedingte Liebe und Loyalität haben einige Mütter gegenüber ihren kleinen Nazis an den Tag gelegt; manche haben den Sieg davongetragen. Die Kinder gehen wieder in die Lehre oder haben zumindest ihre "Freunde vor dieser Zeit" wieder. Nicht aufgeben, das ist Hempels Appell. Ihr Buch ist betroffenen Eltern eine große Hilfe. Darüber hinaus stellt sie einen Service-Teil mit wichtigen Beratungs-Adressen zur Verfügung, ebenso wie Auflistung von Symbolen, Nazi-Organisationen und Kleidungsstücken. Denn man muss erstmal drauf kommen, was es bedeuten kann, wenn das Kind auf einmal Klamotten von Ben Sherman trägt.

Claudia Hempel: Wenn Kinder rechtsextrem werden, zuKlampen, 208 Seiten, 12,80

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