Mord im Sowjetparadies
admin | Posted 17/03/2008 | Krimis | Keine Kommentare »
TEin Geheimdienstoffizier fahndet nach einem Serienkiller – das ist der Stoff, aus dem ein guter Thriller ist. Tom Rob Smiths Debütroman ist aber mehr: eine beeindruckende Geschichte über ein Unrechtsregime.
Der Brite Tom Rob Smith hat nie politischen Terror erlebt, er hat keine russischen Wurzeln, und selbst der Kalte Krieg ist für den 1979 Geborenen fast nur Geschichte. Dennoch schildert er Stalins Herrschaft in den 50er-Jahren, die Grausamkeit der Staatsgewalt und die alles überschattende, alles zersetzende, korrumpierende Angst vor Gefängnis, Folter, Hinrichtung und Arbeitslager so beklemmend genau, als wäre er dabei gewesen.
Geheimdienstoffizier Leo Demidow jagt gnadenlos vermeintliche Spione und Landesverräter. Dass er das Leben der Menschen, denen er auf der Spur ist, zerstört, nimmt er in Kauf. Es dient ja einem guten Zweck: einer kommunistischen Zukunft, in der alles wunderbar sein wird.
Leo geht es dabei auch gut. Seine Sicht auf sein Land und seine Arbeit ändert sich erst, als er durch eine Intrige ins Visier des Geheimdienstes gerät und seinen Job und alle seine Privilegien verliert. Erst jetzt, als er selbst unschuldig zum Opfer wird, macht er sich klar, dass er Teil des Terrors war, und erst jetzt wird er vom Täter zum positiven Helden.
Leo will seine Vergehen wiedergutmachen, indem er einen Mann sucht, der Kinder ermordet. Niemandem ausser ihm ist aufgefallen, dass die vielen Kinder, die alle auf dieselbe grausame Weise getötet und immer in der Nähe von Bahngleisen gefunden wurden, einem Serienkiller zum Opfer gefallen sein müssen.
Entweder wurden die Taten als Unfälle abgetan oder geistig Behinderte und Verfemte wie Homosexuelle für sie verurteilt. Denn Verbrechen gibt es nur, so die offizielle Ansicht, im verdorbenen Westen, während es im kommunistischen Paradies keinen Grund für sie gibt.
Vernichtungsmaschine
“Kind 44″ ist ein Thriller, in dem ein geschasster Geheimdienstoffizier einem Psychopathen auf der Spur ist. Und es ist mehr: Smith schildert genau und drastisch ein Unrechtsregime mit seinen Gräueltaten, er führt dessen Ideologie ebenso vor wie die Selbstbezogenheit und Verlogenheit derjenigen, die für dieses Regime tätig waren und von ihm profitierten, und er
erzählt, wie ein Mensch sich verändert, der nicht mehr mitmachen will.
Er bringt zwar eine Zeit in Erinnerung, die lange vorbei ist, beschreibt aber Mechanismen und Strukturen, die nicht nur in der Sowjetunion wirksam waren. Er zeigt, wie ein totalitärer Staat funktioniert, wie er auf Menschen zurückgreift, die gern quälen und sich um jeden Preis bereichern wollen, wie er Mitläufer einbindet und wie Terror und Folter Menschen dazu bringen, Dinge zu tun, die sie eigentlich nicht tun wollen.
Smiths Debüt ist ein aussergewöhnliches, spannendes, dicht geschriebenes Buch, ein erfolgreiches zudem, das bisher in 25 Länder verkauft wurde. Die Filmrechte sicherte sich Ridley Scott, der Welterfolge wie “Blade Runner” oder “Gladiator” gedreht hat.
Was auch immer er aus dem Buch machen wird – es lohnt sich, es erst einmal zu lesen. Möglicherweise auch die Fortsetzung, die Smith gerade schreibt.
Tom Rob Smith
Kind 44
Aus dem Englischen von Armin Gontermann
Dumont Verlag
512 Seiten
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