Dahindümpeln in Dornbach
admin | Posted 09/10/2008 | Belletristik | Keine Kommentare »
Nach dem grossen Erfolg mit "Endlich Stille" ist Karl-Heinz Otts neuer Roman erschienen. Bettina Schulte, Redakteurin der Badischen Zeitung, stellt ihn vor.
Drei Tage im Spätsommer in einem Schwarzwälder Dorf, das die Welt vergessen hat, seitdem die viel befahrene
Bundesstraße nicht mehr durch den Ort führt. Dornbach heißt es in Karl-Heinz Otts neuem Roman "Ob wir wollen oder nicht" und hat ein reales Vorbild:
Die Gemeinde Döggingen an der B 31 zwischen Neustadt und Donaueschingen war von bis zu 50.000 Autos am Tag gequält, bis vor einigen Jahren ein Umgehungstunnel gebaut wurde.
Jetzt sei das Dorf tot, sagt der in Freiburg lebende Schriftsteller, der aus dem Oberschwäbischen stammt, aus Ehingen bei Ulm, wo er 1957 geboren wurde. Die Tankstelle, drei Gaststätten: dichtgemacht.
Unschuldig im Gefängnis?
So ist die Lage in Dornbach, das ansonsten nichts mit Döggingen gemein hat. Die Verlassenheit habe etwas
Anziehendes, sagt Ott. Deshalb hat er die Geschichte seines dritten Romans dorthin verlegt. Doch eigentlich spielt sie dort nicht. Sie spielt im Bewusstsein – Ott bevorzugt den Begriff "Gemüt" – seines Ich-Erzählers, der erst ganz am Schluss einen unmaßgeblichen Namen bekommt.
Dieser, ein Tankstellenbesitzer, der vom Ersparten lebt, seitdem die Welt nicht mehr durchs Dorf fährt, findet sich am Beginn des Romans in einer Freiburger Gefängniszelle wieder.
Eine Nacht beziehungsweise 81 Seiten lang hat er Zeit, den Leser in einem fulminanten inneren Monolog darüber aufzuklären, warum er dort sitzt, obwohl er seine Unschuld beteuert: was es mit seiner Freundin Lisa und dem vor
Jahren wegen Kindesmissbrauchs angeklagten, aber freigesprochenen Pfarrer auf sich hat und was mit der von den beiden im Keller von Lisas Gaststätte schwer misshandelten Frau – ein mutmaßlicher Racheakt.
Doch um Klarheit zu schaffen, ist dieser Ich-Erzähler nicht angetreten. Die ersten Sätze des virtuos bis zum
Schwindligwerden erzählten Romans sollten einen warnen. Vor lauter Einschüben wollen sie an kein Ende kommen – und erzeugen so einen Schwebezustand, in dem vieles möglich, aber nichts sicher erscheint.
Dem Leser zieht Ott so den Boden unter den Füßen weg. Was "wirklich" geschehen ist, erfährt er bis zum Schluss so
wenig wie der durch Vermutungen und Spekulationen mäandernde Ich-Erzähler, der sich überdies von Anfang an selbst heillos im Gestrüpp von Wahrheit und Lüge, Reden und Verschweigen verlaufen hat.
Genau das aber ist es, was diesen Autor, dessen Texten man sein Studium der Philosophie durchaus anmerkt, "zentral" interessiert: "Ambivalenzen: Das ist ein Stoff für Romane. Das macht uns ja aus."
So weiß der Ich-Erzähler, ein ehemaliger Landkommunarde mit ad acta gelegten Weltverbesserungsplänen, schon lange nicht mehr, ob er mit Lisa noch zusammen ist oder nicht.
Und so kann er, der die 50 schon überschritten hat, sich nicht für einen Lebensentwurf entscheiden; ihm gelingt "nicht das Allein- und nicht das Zuzweitsein und auch nicht ein Wohngemeinschaftsdasein".
In seinem "Dahindümpeln, als sei man für das, was mit einem geschieht, nicht wirklich verantwortlich", erinnert er an den Ich-Erzähler von Otts viel gerühmtem und mit mehreren Preisen bedachten Vorgängerroman "Endlich Stille", mit dem sich der frühere Musikdramaturg nach seinem autobiografischen Erstling "Ins Offene" endgültig freigeschrieben hat.
Jener Ich-Erzähler, ein Basler Philosophiedozent, weiß sich eines so penetranten wie wortgewaltigen Eindringlings
in seine Wohnung und in sein Leben nicht zu erwehren, weil er nicht Nein sagen kann – und entkommt dieser
bedrohlichen Umklammerung durch den Anderen nur durch einen finalen Gewaltakt ohne Gewalt:
Er hetzt den ungeübten Wanderer einen Berg hinauf, bis endlich Stille einkehrt.
In diesen Zauderern und Dahindümplern mit ihren "Beziehungsverquerheiten", Karriereknicken und gewesenen großspurigen linken Träumen vom "unentfremdeten" Leben mag man auch ein grobmaschiges Porträt von Otts eigener Nach-68er-Generation erkennen:
angetreten, um die Welt zu ändern, angekommen im Abseits eines irgendwie Weitermachens, ob sie wollen oder nicht. Über den ambivalenten Titel des Romans, sei er fatalistisch gemeint oder nicht, kann man, wenn man will, lange nachdenken.
So wie man über Sätze wie diesen nachdenken kann: "Am Ende mag es vielleicht doch nur eine Frage von Worten sein"
- und über das, was in Anlehnung an den von Ott geschätzten postmodernen Philosophen Jacques Derrida darin mitschwingt an Aussage über das Verhältnis zwischen Wort und Wirklichkeit.
In der Figur des immerzu Bibeln vergleichenden Pfarrers a. D. spitzt es sich zu: Am Anfang war das Wort