Nachdenkenswert
admin | Posted 08/10/2008 | Preise und Events | Keine Kommentare »
Politik- und Wirtschaftsbücher sind all zu oft Talkshow-taugliche
Schnellschüsse. Lesenswert sind eher die anderen: Bücher, deren Autoren
sich ernsthaft mit Zeitfragen auseinandersetzen.
Können Sie auch keine Bücher wegwerfen? Was zwischen zwei Kartons gepresst wurde, ob in Leinen oder als Paperback, taugt für die Ewigkeit. Doch die Wirklichkeit hat diese Ehrfurcht vor dem Buch längst als naive Sentimentalität entpuppt.
Das gilt vor allem für Sachbücher und hier verschärft für solche aus dem politischen und wirtschaftlichen Bereich. Ich meine die Fließbandproduktionen, mit denen sich Politiker oder Journalisten mehr selbst bespiegeln, als dass sie zur Wahrheitsfindung oder gar zur Lösung der drängenden Fragen der Gegenwart beitragen.
Das macht es nicht leicht, aus dem Berg von Neuerscheinungen die Perlen herauszufischen. Auf die
stößt man oft nur durch Mundpropaganda. Namen und Aktualitäten aber werden mit der geballten Macht professioneller PR auf den Markt gedrückt.
Verkauft werden diese Bücher dann zwar in großer Zahl, aber viele wandern – allenfalls angelesen – rasch vom Nachttisch ins Bücherregal. Was zum Beispiel ist Ihnen von Gerhard Schröders Erinnerungen noch präsent? Oder von Joschka Fischers Rückblick auf seine Politikerzeit, auch wenn der mehr zu erzählen wusste als der Altkanzler?
Aber die Neuerscheinungen des Frühjahrs und der vergangenen Jahre sind abgeräumt, wenn auch nicht
ausgelesen. Im Herbst kündigen sich neue Bestseller an. Die Themen sind gesetzt. Nein, nicht die US-Präsidentenwahl.
Die Bücher dazu sind längst auf dem Markt, unter anderem eine recht anregende Annäherung unseres Amerikakorrespondenten Markus Günther an Barack Obama. Die düstere Bilanz der Präsidentschaft von George W. Bush scheinen die Verlage den Zeitungen überlassen zu wollen. Um das in Buchform ertragen zu können, wird man einigen Abstand brauchen.
Stattdessen wirft die Bundestagswahl 2009 ihre Schatten voraus. Ottmar Schreiner, der letzte aufrechte
Altlinke in der Volkspartei SPD, ist bei Propyläen mit seiner Schrift "Die Gerechtigkeitslücke" als Debattenbuch des Herbstes angepriesen.
Das Thema hat nach dem turbulenten Abgang von Kurt Beck und der überstürzten Kür von Frank-Walter Steinmeier zum Kanzlerkandidaten der SPD an Brisanz gewonnen. Doch schon zuvor war klar, dass die soziale Gerechtigkeit zu einem der zentralen Wahlkampfthemen werden würde.
Das verlegerische Risiko war also überschaubar. Das gilt zwar auch für die Bücher im Umfeld des 90. Geburtstags von Helmut Schmidt. Doch sowohl die Biografie von Hans-Joachim Noack als auch die Eigenbilanz des Altkanzlers “Außer Dienst” sind auch anregende Lektüre.
Für die Konservativen springt bei Econ Hans-Werner Sinn als Hansdampf in die Bresche. Mit seinem Buch
"Das grüne Paradoxon" will der Chef des Münchner ifo-Instituts die "dramatischen" Irrtümer der Klimapolitik entlarven. Da warte ich lieber auf die Bücher zum 60jährigen Jubiläum des Grundgesetzes.
Christian Bommarius, ein ehemaliger Redakteur dieser Zeitung, hat bei Rowohlt Berlin eine Biografie der
Verfassung versprochen. Und der Historiker Hans-Ulrich Wehler hat eine Gesellschaftsgeschichte der
beiden deutschen Staaten von 1949 bis 1990 vorgelegt.
Höchste Zeit also, Platz zu schaffen auf dem Nachttisch. Nur, wohin mit den Büchern, die man allenfalls aus Mitleid in die Regale stellt? Die nämlich sind schon lange überfüllt.
Text: Thomas Hauser für die Printausgabe von Seite 4