Von Zauberbüchern und Trugbildern
admin | Posted 08/10/2008 | Dossier/Akten | Keine Kommentare »
Fantasy-Fans müssen nicht warten, bis der dritte "Eragon"- Band Ende Oktober erscheint. Es gibt auch vorher viel zu entdecken: Kinder- und Jugendbuchexpertin Christine Lötscher hat sich in magischen Bücherwelten umgeschaut.
Nach all den Jahren, in denen sich junge (und ältere) Fantasy-Leser dank J. K. Rowling oder Cornelia Funke keine Sorgen um ihre Herbstlektüre machen mussten, gibt es diesmal nichts Neues aus Hogwarts und aus dem Tintenland.
Alle Augen sind nun auf Christopher Paolini und "Die Weisheit des Feuers", den dritten Band seiner "Eragon"-Tetralogie, gerichtet.
Der Erstverkaufstag wird zu einem Medienereignis wie bei "Harry Potter": Am 25. Oktober, eine Minute nach Mitternacht, darf das dicke Buch über die Ladentheken wandern – auf Deutsch.
Im amerikanischen Original wurde "Eragon 3" bereits am 20. September lanciert, mit einem Riesenevent. Auf Paolinis Homepage (www.alagesia.com) konnte man die Sekunden bis zum Erscheinungstag mitzählen.
Während Eragon mit seiner Drachin Saphira auch im dritten Band mit scheinbar unüberwindbaren Hindernissen zu kämpfen hat und Paolinis Welt dabei doch immer die gleiche bleibt, beginnen in den Fantasy-Büchern rundherum neue, aufregende Abenteuer.
Drachen begegnet man nicht mehr auf Schritt und Tritt wie in den letzten Jahren, dafür geheimnisvollen Büchern und gefährlichen Substanzen.
Barnaby Grimes, Kurier und Laufbursche von der schnellsten Sorte, einer, der Kopf und Kragen riskiert, während er von Kamin zu Kamin springt, kennt sich mit allen Quacksalbern seiner Stadt aus – und mit den Elixieren, die sie brauen.
Besonders bei Dr. Theopholus Cadwalladers Wunderheilmittel kommen ihm Zweifel, und bald erkennt Barnaby den Zusammenhang zwischen seinem Elixier und den reißenden Bestien, die plötzlich die Stadt unsicher machen.
Paul Stewart und Chris Riddell brauen in ihrer neuen Serie rund um Barnaby Grimes eine gelungene Mischung aus schwarzem Humor und Situationskomik, temporeich erzählt und mit einer kräftigen Prise Unheimlich-Grusligem versetzt.
Ein ganz anderes Temperament hat Bertoul, der als Troubadour am Hof der Edelfrau Hermelinde von Torunissan lebt und als Held der Mittelaltertrilogie "Das Zauberbuch mit dem Rubin" von Béatrice Bottet vor schwierige Aufgaben gestellt wird.
Als seine Herrin ihn auf dem Sterbebett beauftragt, ein gestohlenes Zauberbuch dem rechtmäßigen Besitzer zurückzubringen, weiß Bertoul noch nicht, worauf er sich einlässt.
Nicht nur, dass alle möglichen Verfolger hinter ihm und dem Buch her sind – am Ende steht er als Erbe eines alchimistischen Labors da, obwohl er am liebsten singen und erzählen würde.
Bottet lässt eine überzeugende mittelalterliche Welt vor dem Leserauge entstehen und lässt uns staunen über die Rezepte, die sie in authentischen Zauberbüchern gefunden hat.
Bevor Bertoul anfängt, sich das magische Wissen aus dem Buch anzueignen – das wird er erst im zweiten Band tun -, entdeckt er an sich selbst eine merkwürdige Eigenheit:
Er kann im Dunkeln sehen, wie eine Eule oder ein Kauz. Damit geht es ihm ähnlich wie Ondine, Arturo und Elly, die allerdings nicht im Mittelalter leben, sondern im 21. Jahrhundert – ganz normale Jugendliche.
Nur, dass Ondine in Tara Bray Smiths packendem, etwas verstörendem Mystery-Thriller "Betwixt" Trugbilder sieht, die sie sich nicht erklären kann, während Elly in Susanne Rauchhaus’ flott geschriebenem "Hexenspiegel" mit Schrecken feststellt, dass sie die blöde Zicke aus ihrer Klasse mit einem einzigen Blick zum Stolpern bringen kann.
Magischer Krimi
Santiago García-Clairac spielt in seinem dicken Roman "Die Schwarze Armee" raffiniert mit den Übergangszonen zwischen Traum und Wirklichkeit.
Arturo, der Sohn eines Büchersammlers, glaubt zuerst, die Schlacht- und Folterszenen aus dem spanischen Mittelalter nur zu träumen, bis ihm klar wird, dass er gleichzeitig in zwei Epochen lebt – und dass die Vergangenheit nicht vergangen ist.
Auf der Suche nach sich selbst entdeckt er, dass auch andere sich für die lebendige Geschichte interessieren, und löst nebenbei noch einen Kriminalfall. Das ist rasant und spannend erzählt.
Dank der originellen Motivverknüpfungen lässt man auch bei der einen oder anderen Ungereimtheit des verwickelten Plots Gnade walten.
All diese Fantasy-Neuerscheinungen lesen sich leicht und reichen durch die Stoffe, mit denen sie arbeiten, in die Tiefe.
Dass sie ihre Energie aus der literarischen Tradition und aus dem medialen Umfeld beziehen, macht die spezifische Mischung aus Vertrautem und Fremdem aus, die noch fesselnder wirkt als der spannende Plot.
Paul Stewart & Chris Riddell: Barnaby Grimes.
Der Fluch des Werwolfs.
Aus dem Englischen von Wolfram Ströle.
Sauerländer, 191 Seiten,
14,90