Der Sinn des Lebens

admin | Posted 17/11/2008 | Belletristik | Keine Kommentare »

Terry Eagleton © Eamonn McCabe

Was ist der Sinn des Lebens? Gibt es darauf überhaupt eine Antwort? Wenn ja, liegt sie in uns? Oder ist die Frage falsch gestellt? Terry Eagleton widmet sich diesem existenziellen Thema auf geistreiche und witzige Art. Ein außergewöhnliches Philosophiebuch.

Der moderne Mensch tut sich besonders schwer mit der Sinnsuche.

Viele
glauben ebenso wenig an die eine, endgültige Bedeutung des Lebens wie
an den Weihnachtsmann.

Es scheint, als sei es heute einfacher, den
Lebenssinn in New-Age-Religionen oder einem bestimmten Fußballclub zu
entdecken, als sich mit zentralen philosophischen Fragestellungen zu
beschäftigen.

Zumal es einem die Philosophen auch nicht leicht machen:
Sie haben die ärgerliche Angewohnheit, Fragen zu analysieren, anstatt
sie zu beantworten.

Zum Glück ist Terry Eagleton kein Philosoph. Er
erläutert auf originelle und unterhaltsame Weise, wie Geistesgrößen von
Shakespeare bis Schopenhauer, von Marx bis Sartre die Frage nach dem
Sinn des Lebens beantwortet haben.

Und er findet eigene, überraschende
und inspirierende Antworten.

Die Frage nach dem Sinn des Lebens ist für Terry Eagleton ein Thema, dessen sich eigentlich nur noch Verrückte oder Komiker annehmen können.

In britischem Understatement rechnet er sich zur zweiten Gruppe: Eagleton behandelt den absurd anspruchsvollen Gegenstand mit Humor und Skepsis, ohne falsche Ehrfurcht oder narzistische Rechthaberei.

Der brillante, gut verständliche Essay des bekannten Literaturwissenschaftlers sucht nach ernsthaften Antworten, die nicht hinter die Einsichten der Moderne und Postmoderne zurückfallen.

Eagleton will stattdessen den nächsten Schritt tun.

Weder der tragische Schmerz über den Verlust metaphysischer Bindung noch das seichte Spiel mit beliebigen Optionen sind für ihn gangbare Wege, um heutzutage ein erfülltes Leben zu führen.

Nach kritischen Zwischenstopps zum Beispiel bei Nietzsche, Freud, Beckett, Althusser und Deleuze wird klar, wie wir unsere Freiheit nutzen und zugleich ein ethisch begründetes Glück finden können.

Eagleton beschreibt in souveräner Manier, wie das Konzept von Sinn in eine Krise geraten ist: Das Gott-Vertrauen der Menschen, Teil eines universellen Ganzen zu sein, wurde seit der Aufklärung brüchig, und die symbolische Dimension des Lebens an den Rand gedrängt.

In jüngerer Zeit kamen die umfassenden Weltentwürfe in Misskredit – jedenfalls im westlichen Kapitalismus, der sich just einem metaphysischen Großangriff von religiös inspirierten Terroristen ausgesetzt fühlt, wie Eagleton konstatiert.

Um Sinndefizite zu kompensieren, greift der postmoderne Mensch auf diverse Fertig-Mysterien zurück, die ein aggressiver Kommerz ihm verkaufen will:

vor allem banalisierte Spiritualität, ein radikaler Individualismus und nicht zuletzt der Sport, das neue Opium für das Volk.

Plausibel ist für Eagleton die Annahme, dass wir dem Leben unseren eigenen Sinn geben und nicht von Abstraktionen wie Gott oder der Geschichte abhängen.

Dennoch kann Sinnstiftung keine private Angelegenheit sein, da jedermann vielfältigen Prägungen durch andere Menschen unterliegt.

Der Sinn des Lebens ist deshalb kein philosophisches Problem, das mit einer allseits gültigen Antwort gelöst werden könnte.

Eagleton entreißt diesen Begriff seiner majestätischen Aura und stellt ihn ins Zent-rum des täglichen Lebens. Eine solche Ethik lässt die Illusion des festen Fundaments, aber auch den Kult um die endlose Wahlfreiheit hinter sich.

Eagletons Entwurf ist ein reflektierter, nicht elitärer Humanismus: Auf den Zwang zur Gleichförmigkeit und die Verherrlichung der Differenz sollte ein drittes Modell folgen, in dem Gemeinsamkeit und Gegenseitigkeit in sozialen Beziehungen dem Leben eine bestimmte Qualität, Tiefe, Fülle und Intensität geben.

Wir sind zwar aufgerufen, unsere Persönlichkeit zu verwirklichen, aber nicht als egozentrische Designer, sondern im Dialog und Miteinander.

Der abwägende und zugleich entschiedene Text von Terry Eagleton bestätigt auf überzeugende Weise, was Sinngebung am Anfang des 21. Jahrhunderts sein könnte:

Verantwortungsvoller Umgang mit dem Reichtum der Möglichkeiten und Gedanken.

Dieses Buch ist anregend, ungewöhnlich und wirklich unterhaltsam.


Terry Eagleton
, 1943 im englischen Salford geboren, ist Professor für Englische Literatur an der University of Manchester und Fellow der British Academy.

Auf Deutsch sind von ihm u.a. erschienen: "Was ist Kultur?" (2001), "Die Wahrheit über die Iren" (2000), "Ideologie" (1993) und sein Standardwerk "Einführung in die Literaturtheorie" (1988).

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