Aus der Finsternis ins Licht
admin | Posted 26/02/2009 | Belletristik | Keine Kommentare »Für seinen aussergewöhnlichen Indienroman "Der weiße Tiger" bekam Aravind Adiga den Booker-Preis – zu recht. Aravind Adigas Held kann die Armut hinter sich lassen – durch einen Mord.
Dieses Indien befriedigt keine exotischen Bedürfnisse. In ihm ist kein Platz für leuchtfarbene Saris, vielarmige Götter und prunkvolle Paläste.
Auch spirituell durchdrungene Sinnsucher gehen leer aus. Den Ganges mit seinen Totenverbrennungen überlässt es mit Abscheu gegenüber dem zähen "schwarzen Schlamm", der alles an sich zieht, den amerikanischen Touristen.
Das undurchdringliche Kastenwesen schrumpft auf zwei Kasten: "Menschen mit großen Bäuchen und Menschen mit kleinen Bäuchen. Und nur zwei Schicksale: fressen – oder gefressen werden."
Balram Halwai weiß, wovon er spricht. Er ist aus der Finsternis gekommen und ins Licht gegangen.
Die Finsternis ist die Armut der indischen Dörfer, ihre Rückständigkeit, ihr erbärmlicher zivilisatorischer Zustand.
Das Licht sind die ins 21. Jahrhundert aufbrechenden Megacitys Delhi oder Bangalore mit ihren "Tausenden und Abertausenden Unternehmern.
Diese Unternehmer – wir Unternehmer – haben Tausende von Outsourcing-Unternehmen gegründet, die inzwischen im Grunde ganz Amerika am Laufen halten".
Balram Halwai hat es geschafft. Er hat die Seiten gewechselt. Von der Armut zum Reichtum. Vom Diener zum Herrn. Vom Fahrer zum Betreiber eines Fahrdienstes für die Angestellten der IT-Branche.
In sieben Nächten erzählt er unter dem Kronleuchter seines Büros, wie es dazu gekommen ist – in Briefen an den chinesischen Ministerpräsidenten Wen Jiabao.
Ein Globalisierungsgewinner richtet sich an den anderen.
Denn der Held von Aravind Adigas Debütroman "Der weiße Tiger" ist überzeugt, dass die Weißen in 20 Jahren ausgedient haben und die Zukunft der Welt den Braunen und den Gelben gehört.
"Der weiße Tiger" ist ein erstaunliches Buch – und mindestens genauso erstaunlich ist es, dass der 1974 in Südindien geborene Aravind Adiga, der in Australien aufgewachsen ist, in den USA und England studiert hat und als Journalist für die "Times" gearbeitet hat, dafür als zweitjüngster Preisträger aller Zeiten den Booker-Preis erhalten hat.
Der Verlag C.H. Beck hat den richtigen Riecher gehabt.
Er hat den Roman in der zupackenden Übersetzung von Ingo Herzke bereits auf Deutsch herausgebracht. So kann man die Entscheidung der Jury überprüfen – und bejahen: Einen solchen Indien-Roman gab es noch nicht.
Das liegt vor allem am Ton. Adigas hemdsärmeliger, gerissener Emporkömmling kennt keinen Respekt und nimmt kein Blatt vor den Mund; als "halbgarer" Selfmademan steht ihm der Diskurs des Gebildeten nicht zu Gebot.
Er ist der listige Underdog, der mit Hegels Dialektik von Herrschaft und Knechtschaft Ernst macht:
Das ist – in der Tradition des Schelmenromans – mit burschikosem Witz erzählt, aber angesichts der sozialen Realität, um die kein Bogen gemacht wird, auch von bestürzender Härte.
Das klingt dann so: "Sir, wenn Sie zu uns kommen, wird man Ihnen erzählen, wir Inder hätten alles erfunden, vom Internet über hart gekochte Eier bis hin zur bemannten Raumfahrt, nur hätten die Briten uns alle Ideen geklaut. Quatsch.
Das Größte, was dieses Land in seiner zehntausendjährigen Geschichte hervorgebracht hat, ist der Hühnerkäfig."
Der Hühnerkäfig: Darin hocken "99,9 Prozent von uns" – und niemand kommt auf die Idee, auszubrechen. Niemand bis auf Balram Halwai, den ein Lehrer – welches Versprechen – den "weißen Tiger" genannt hat.
Balram Halwai, Sohn eines Rikschafahrers aus Laxmangarh, hat begriffen, dass die Körper der Armen und der Reichen himmelweit unterschiedlich sind:
"Der Körper des Reichen ist wie ein erstklassiges Baumwollkissen, weiß, weich und ohne Spuren. Das Rückgrat meines Vaters sah aus wie ein knotiges Seil (