Den letzten beissen die Vampire

admin | Posted 23/04/2009 | Autoren | Keine Kommentare »

Viktor Pelewin ist ein Ausnahmeschriftsteller. Er gehört schon jetzt zu
den bedeutendsten und unterhaltsamsten Autoren, die das neue Russland
hervorgebracht hat. Ohne Gnade und doch mit viel Liebe zum Detail seziert er das
(Über-)Leben im größten Land der Erde. Russland, das so voller
Widersprüche, so unbegreifbar für den Westen ist, spiegelt sich in
geradezu luzider Art und Weise in Pelewins Prosa.

So entwirft Pelewin in "Das fünfte Imperium" das Gebäude eines kompletten Staates im Staat. Dabei ist es fast vernachlässigbar, dass seine Hauptakteure Vampire sind. Denn die halten sowieso nur als Metaphern her für die Oligarchie, die sich derzeit in Russland hemmungslos ausbreitet.

Der junge Roma treibt so durchs Leben, wohnt noch bei Mama zu Hause und arbeitet überwiegend lustlos als Entpacker in einem Moskauer Supermarkt.

Unspannender und ereignisärmer könnte seine Existenz kaum ausfallen.

Kein Wunder, dass Roma ganz schnell die Gelegenheit beim Schopf packt, als er auf der Straße eine Anzeige liest, die nicht weniger verspricht als den Eintritt in die gesellschaftliche Elite. Ahnungslos, aber gespannt macht sich Roma auf den Weg.
Doch es stellt sich heraus, dass hier eine andere Elite gemeint war, als erwartet.

Es handelt sich um Vampire, die Nachwuchs rekrutieren.

Bei Pelewin allerdings ist das alles nicht mit Blutsaugen getan. Und überhaupt: das Blut wird nicht so genannt. Es heißt viel schlichter: "rote Flüssigkeit", denn die modernen Vampire sind distinguiert und alles andere als vulgär.

Roma lernt, dass man nicht etwa durch einen Biss allein zum Vampir mutiert, nein, eine so genannte "Zunge" nistet sich im Wirtskörper ein und beeinflusst von nun an dessen Denken und Befindlichkeit.

Spannender wird es dann, wenn Roma seinen Geburtsnamen ablegen muss und von nun an Rama heißt. Denn alle Vampire tragen mystisch-göttliche Namen. Und sie müssen vieles lernen, um sich in der Welt der Blutsauger tatsächlich zurechtfinden zu können.

Da ist zum Beispiel der Diskurs: Die Kunst, sich mit Bildung und gescheitem Reden von der Masse abzuheben. Und dafür zu sorgen, dass die Menschen keinen Verdacht schöpfen, von wem sie tatsächlich manipuliert werden.

Ebenfalls zur Camouflage der Vampire zählt der Glamour, eine Art Maskenspiel, mit dem die Menschen stets daran gehindert werden, hinter die Fassade zu blicken und sich statt dessen mit blendender Schönheit – in Mode, Kunst und gesellschaftlichem Auftritt – zufrieden geben und dieser sogar willfährig nacheifern.

Pelewin macht klar: der Mensch ist nichts anderes als ein hochmodernes Zuchtvieh, das den Vampiren als Nahrung und Zeitvertreib dient. Der Clou dabei ist, ähnlich wie im Film "Matrix", dass die Menschen nicht ahnen, dass sie im Grunde ganz unten stehen in der Nahrungskette.

Roma/Rama lernt also die Welt der Vampire, oder besser Teilaspekte von ihr kennen. Seine Lehrmeister bringen ihm aber auch bei, wie man mit Hilfe eines ganz schnellen Bisses in die Psyche seiner Opfer eindringt und sie so manipuliert.

Sie lehren ihn Körperbeherrschung und flößen ihm "rote Flüssigkeit" aus verschiedensten Epochen ein.

Jede dieser Flüssigkeiten bringt es mit sich, dass Rama tatsächlich in der Psyche und im Erleben desjenigen, von dem sie stammt, herumwandert und sogar Eigenschaften der Opfer kurzzeitig übernehmen kann.

Doch all das kümmert Rama irgendwann nicht mehr, er will wissen, was die Welt der Vampire ausmacht, wo ihr Geheimnis liegt, wohin es für ihn geht. Er lernt nicht nur die geheimnisvolle Hera kennen, die zur gleichen Zeit zur Vampirin wurde wie er selbst, sondern muss sich in der seltsamen Welt der Blutsauger zurecht finden und behaupten.

Schließlich meint er, das Geheimnis seiner dunklen, neuen Brüder gelüftet zu haben, er dringt sogar bis ins innerste Zentrum des Vampir-Imperiums vor, spricht mit der "Großen Maus", die angeblich alles zusammenhält. Doch auch sie, so lernt er, kennt nicht die letzten Antworten.

Erst als sich ein radikaler Umsturz im Reich der Vampire ankündigt, kommt Rama den wahren Ränkespielen der fledermaushaften Blutsauger auf die Schliche, doch da ist es für ihn schon zu spät.

Pelewins "Das fünfte Imperium" ist kein purer Vampirroman, sondern vielmehr eine Parabel auf das heutige Russland.

Roma will unbedingt wissen, was das Imperium im Innersten steuert, wo sein Geheimnis, seine Bestimmung liegt. Doch mit jedem Schritt, durch den er einer Lösung scheinbar näher kommt, verliert er sich nur noch mehr in Widersprüchlichkeiten und scheinbar auswegslosen Labyrinthen.

Russland ist opak. Es lässt den prüfenden Blick von außen teflonartig abperlen. Unter die Oberfläche sieht der Betrachter nicht. Kann er nicht sehen. Denn die Inszenierung (Glamour und Diskurs) bestimmt den Alltag. Gesten der Macht und die Zurschaustellung grotesken Reichtums verstellen den prüfenden Blick.

Wie das im einzelnen funktioniert, das zeigt Pelewin in "Das fünfte Imperium" so eindrucksvoll, dass man seinen Ausführungen bisweilen mit offenem Mund folgt.

Pelewin liebt sein Land, das wird deutlich.

Doch er versteht es nicht, genauso wenig wie seine Hauptperson Roma. Und doch: Macht und Reichtum üben ungeahnte Anziehungskraft aus. Auch wenn man nicht weiß, was einen tatsächlich erwartet, wenn man auf den Pfad des Geldes einschwenkt, man nimmt ihn doch – ohne Rücksicht auf Verluste.

Pelewins Roman ist gespickt mit Referenzen aus der Popkultur und amerikanischen Horrorfilmen, macht aber auch definitive Anleihen bei den Großen der russischen Literatur: Bulgakow und Dostojewski spiegeln sich in seiner fantastisch-überwältigenden Prosa, die von Pelewins deutscher Stimme, Andreas Tretner, kongenial ins Deutsche übertragen wird.

Ein Roman wie ein Paukenschlag, ein Autor, von dem wir ganz bald mehr lesen wollen.

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