Front gegen Googles weltweites Bücher-Reich wächst
Petra Bohm | Posted 07/09/2009 | Dossier/Akten | Keine Kommentare »
Finden Sie das Digitalisieren von Büchern grundsätzlich sinnvoll und nützlich? Sollten darüber der Autor oder seine Nachfahren entscheiden dürfen, oder macht das Internet den Buchmarkt kaputt, so wie es der Musikindustrie widerfahren ist?
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Weltweit hat Google in den vergangenen Jahren bereits zehn Millionen Bücher digitalisiert. Jetzt steht der Internet-Konzern vor seinem größten literarischen Coup: In den USA hat sich Google mit Autoren und Verlagen in einem Vergleich vor Gericht darauf geeinigt, dass auch urheberrechtlich geschützte Bücher gescannt und Nutzern im Internet in längeren Passagen zur Verfügung gestellt werden können. Darunter sind aber auch Millionen von Büchern nicht-amerikanischer Autoren. Dies hat nun in Deutschland die Buchbranche sowie Schriftsteller von Daniel Kehlmann bis Siegfried Lenz auf die Barrikaden gebracht. Auch die Bundesregierung hat diese Woche vor dem Gericht in New York Bedenken gegen den Vergleich angemeldet. Die Frist dafür lief am Freitag (4. September) ab.
«Google Books» ist in den USA dabei, rund 25 Millionen Bücher aus Bibliotheken zu digitalisieren. Bei einem Teil handelt es sich um urheberrechtsfreie Bände – in den USA gilt dies für Bücher, die vor dem Jahr 1923 erschienen sind. Darunter sind aber auch geschützte Bücher, die im Handel als vergriffen gelten.
Der Vergleich (Google Book Settlement) sieht nun vor, dass Google die Autoren und Verleger digitalisierter Bücher zu 63 Prozent an etwaigen Einnahmen bei der Vermarktung der Bücher im Internet – etwa durch das Herunterladen (Downloads) oder die Platzierung von Werbeflächen beteiligt. Zusätzlich gibt es für die Rechteinhaber von Büchern, die bereits vor Inkrafttreten des Vergleichs von Google gescannt wurden, bis zu 60 Dollar pro Titel.
Auch in den USA sind nicht alle damit glücklich. So gehört zum Beispiel der Sohn von Literaturnobelpreisträger John Steinbeck zu den Klägern. Das Zentrum der weltweiten Entrüstung ist jedoch Deutschland. Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU) befürchtet «die Gefahr eines Informationsmonopols». Und für den Börsenverein des Deutschen Buchhandels, der ebenfalls diese Woche in New York Einspruch erhoben hat, stehen die «Normen des internationalen Urheberrechts» auf dem Spiel. «Theoretisch hat Google nach dem Vergleich die Möglichkeit, sämtliche auf der Welt erschienenen Bücher zu digitalisieren», sagt Christian Sprang, Justiziar des Dachverbands der deutschen Buchbranche, in Frankfurt.
Google verweist darauf, dass allein das Urheberrecht in den USA betroffen sei. «Es geht ausschließlich um Bücher aus den USA und für amerikanische Nutzer», sagt der Sprecher von Google Deutschland, Stefan Keuchel. Ausländischen Online-Nutzern soll also technisch der Zugang verwehrt werden. Die spannende Frage ist nun, ob dies im Internet tatsächlich auch möglich ist. Es gebe im Internet genug Möglichkeiten, dies zu unterlaufen, meint Sprang vom Börsenverein.
Weltweit arbeitet Google Books bei der Digitalisierung mit 30 renommierten Bibliotheken zusammen. In Europa gehört neben der Oxford Library auch die Bayerische Staatsbibliothek in München mit ihren wertvollen Beständen dazu. Französische und italienische Bibliotheken stehen in Verhandlungen mit Google. Allerdings werden in den europäischen Bibliotheken nur urheberrechtsfreie Bücher digitalisiert. In Deutschland gelten Bücher 70 Jahre nach dem Tod des Autors als «gemeinfrei». «Wir investieren sehr stark und verdienen damit momentan kein Geld», meint Keuchel mit Blick auf Googles Engagement in den Bibliotheken.
Geschäfte macht der Konzern allerdings bei einem weiteren Standbein im Buchgeschäft: Private Verlage können Google auszugsweise Bücher online zur Verfügung stellen. Der Konzern nimmt über die geschaltete Werbung Geld ein. Und auch die Digitalisierung der weltweiten Bibliotheksbestände ist für Google nach Meinung der Kritiker keineswegs ein Projekt zum Wohle der Menschheit, wie der Konzern es gerne selbst darstellt.
Sprang argwöhnt, dass auf kurz oder lang jede größere Bibliothek weltweit einen Großteil ihres Erwerbungsetats für elektronische Inhalte an Google zahlen muss. Er hält es für ein «Armutszeugnis», dass Bibliotheken weltweit ihre Schätze Google zur Verfügung stellten, nur weil es für die Digitalisierung nicht genügend öffentliche Gelder gebe. Anders sieht das wiederum die zuständige EU- Kommissarin Viviane Reding. Sie hält das weltweite Google Projekt für eine Chance, dass Verbraucher an mehr Informationen herankommen. Brüssel sei offen für «private Initiativen», die Urheberrechte müssten aber gewährt werden, erklärte Reding vergangene Woche in Brüssel.
Das Thema bleibt auf alle Fälle heiß: Das US-Justizministerium hat sich inzwischen eingeschaltet und nimmt das Google Book Settlement kartellrechtlich unter die Lupe. Vor einer abschließenden Beurteilung des Vergleichs will sich das zuständige Bezirksgericht in New York dann am 7. Oktober mit den Einwänden bei einer Anhörung (Fairness Hearing) befassen. Am kommenden Montag (7. September) wird es auch in einer Anhörung vor der EU-Kommission um die Auswirkungen des Vergleichs in den USA gehen.
Die Bundesregierung hofft, dass das New Yorker Gericht den Vergleich insgesamt ablehnt oder zumindest deutsche Autoren und Verleger ausklammert. «Die deutschen Rechtsinhaber könnten dann selbst entscheiden, ob und welche Rechte sie Google einräumen», erklärte Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) in Berlin.
© Thomas Maier/dpa /lettra
Hintergrund-Information: Das «Google Book Settlement» – Bücher im Netz
Das «Google Book Settlement» ist ein Vergleich des Internetkonzerns mit dem US-Verlegerverband AAP und der Autorenvereinigung Authors Guild. Damit wurde ein zwei Jahre dauernder Urheberrechtsstreit gegen die Zahlung von 125 Millionen Dollar beigelegt. Die Vereinbarung macht die Online-Suche auch in Copyright-geschützten Büchern frei. Google hat bisher rund sieben Millionen Bücher aus US-Bibliotheken eingescannt, darunter bis zu fünf Millionen vergriffene Werke.
Ein New Yorker Gericht befasst sich vor einer abschließenden Beurteilung bei einer Anhörung am 7. Oktober mit dem «Settlement». Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) äußerte in einem Brief an das Gericht die Bedenken der Bundesregierung. Laut Börsenverein des Deutschen Buchhandels ist das Digitalisieren von Büchern für Schriftsteller und Verlage in Europa «in keiner Weise akzeptabel». In einem «Heidelberger Appell für Publikationsfreiheit und die Wahrung der Urheberrechte» wenden sich auch die Autoren Hans Magnus Enzensberger, Daniel Kehlmann und Brigitte Kronauer sowie mehr als 1300 weiter Unterzeichner gegen die umstrittene Vereinbarung.
In einem Austausch mit Experten befasst sich die EU- Kommission seit diesem Montag mit den Folgen der von Google betriebenen Digitalisierung urheberrechtlich geschützter Bücher auf Europa.
Der zweitgrößte Buchverlag der Welt, Hachette Livre, lehnt die Vereinbarung von Google mit den US-Verlegern ab und fordert den Internetkonzern zum Verhandeln auf. Die Vereinbarung widerspreche «der Berner Konvention zum Schutz der Autorenrechte und den Verlagsregeln in den europäischen Ländern», erklärte Konzernchef Arnaud Nourry der Zeitung «Le Figaro» (Samstag). «Man will uns glauben machen, dass nur die amerikanischen Internauten (Internetnutzer) Zugang zu den Diensten hätten, die mit diesem Abkommen genehmigt werden», sagte Nourry. «Im Internet kann es aber keine klar definierten Grenzen geben.» Die Regelung sei auf europäisches Recht nicht übertragbar.
EU-Medienkommissarin Viviane Reding forderte Anfang Juli, neue EU- Regeln zu schaffen, um die Digitalisierung von Büchern voranzutreiben. Nach US-Vorbild favorisiert die Kommissarin eine Europa-weite «Book Rights Registry». Dieses Register sammelt Informationen über die Rechteinhaber und verteilt die Einnahmen für digitalisierte Bücher. Dabei geht es um Werke, die nicht mehr gedruckt und somit im Handel nicht mehr erhältlich, oft aber noch urheberrechtlich geschützt sind.
«Ich verstehe die Ängste von vielen Verlegern und Bibliotheken vor zu viel Marktmacht für Google», sagte die Kommissarin. Gleichzeitig habe sie aber auch Verständnis für zahlreiche Internet-Unternehmen, die gerne interessante Geschäftsmodelle anbieten würden, dies aber wegen des fragmentierten Regulierungssystem in Europa nicht könnten.
© dpa/lettra