Hilla bricht auf: Zweiter Teufelsbraten-Roman

Petra Bohm | Posted 15/09/2009 | Belletristik | Keine Kommentare »

Es kann so viel schiefgehen im Leben. Was wäre aus Hildegard Palm geworden, hätte ihr Großvater sie nicht in die Weisheit der Steine eingeweiht?

Wäre ihr Lehrer nicht gewesen, der dafür sorgte, dass sie auf die Realschule kam? Hätte sie sich brechen lassen durch die Prügel ihres Vaters? Die Sorge um dieses Kind, das sich doch kaum wehren kann, der Wunsch, in den Roman hineinzusteigen und der Großmutter zu sagen, sie soll endlich mit dem Unsinn vom «Teufelsbraten» aufhören – diese Sympathie für Hildegard hat viel zum Erfolg von Ulla Hahns Roman «Das verborgene Wort» beigetragen.

Nun, acht Jahre nach dem Bestseller und gut ein Jahr nach dem Fernseh-Zweiteiler, erscheint die Fortsetzung: «Aufbruch». Hilla, wie sie sich mittlerweile nennt, ist eine Jugendliche, wird erwachsen, zieht zum Studieren nach Köln. Immer noch kann viel schiefgehen. Denn wer reifer wird, kann auch mehr falsch machen, ist für die Fehler zumindest mitverantwortlich. Die bedingungslose Sympathie zur kleinen Hildegard weicht deshalb einer gewissen Distanz zur größer gewordenen Hilla. Vielleicht wird es der zweite Teil deshalb ein bisschen schwerer haben, die Leser im Sturm zu erobern.

Und noch etwas ist anders in diesem zweiten Hilla-Roman. Ulla Hahn (63) vertraut nicht mehr allein auf die Kraft der Geschichten, die sie erzählt, auf die Macht ihrer Sprache. Sie vertraut auch auf die Ergebnisse ihrer Recherchen. Nach den 50er sind jetzt die 60er Jahre dran, und Hahn war fleißig. Ob sie die Mode beschreibt oder die ersten Beatles-Songs, das Katalog-Shopping oder ein Café in Köln – alles stimmt, alles ist authentisch. Wer die Zeit erlebt hat und zur Nostalgie neigt, wird das mögen. Wer mitgerissen werden will von dem, was passiert, blättert über solche Passagen hinweg.

Und es passiert wieder mehr als genug. So unergründlich die Feindseligkeit und die Bitterkeit sind, die den Ton in Hillas Familie bestimmen, so unausgesprochen bleibt auch die Sehnsucht nach Versöhnung. Und doch gibt es solche Szenen, in denen Nähe plötzlich möglich wird, in denen der Vater, der sein Kind so oft geschlagen hat, sich zum Komplizen macht bei Hillas Auszug von zu Hause.

Wieder sind dies die stärksten Passagen, wenn Hahn das, was zwischen den Menschen passiert und was dabei in ihnen vorgeht, nicht auserzählt. Genauso erzeugt sie die Sogwirkung, die uns Leser in den Roman hineinzieht, weil es um Ängste, Träume, Glücksmomente geht, die wir ergänzen können.

Dazu gehört auch die ewige Frage, ob das denn wohl so richtig war, wie wir uns an dieser oder jener Weggabelung entschieden haben. Es kann viel schiefgehen im Leben, aber es ist längst nicht immer eindeutig, ob etwas schief- oder gutgegangen ist. Der einfältige Gärtner Peter passt sicher nicht zur künftigen Professorin Hildegard Palm. Aber wäre sie mit ihm vielleicht glücklicher geworden? Weg aus Dondorf, studieren in Köln! Angesichts des vom Leben rettungslos abgekoppelten Wissenschaftsrituals ist gar nicht sicher, ob Hilla da die richtige Wahl getroffen hat. Das werden die Leser vielleicht im dritten Hilla-Roman erfahren, an dem Ulla Hahn schon arbeitet.
© Jürgen Hein/dpa

Ulla Hahn ist im Rheinland aufgewachsen. Die promovierte Germanistin war Lehrbeauftragte an den Universitäten Hamburg, Bremen und Oldenburg, anschließend bis 1989 Literaturredakteurin bei Radio Bremen. Ihr lyrisches Werk wurde u. a. mit dem Hölderlin-Preis ausgezeichnet.

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