Tim Parks Roman «Träume von Flüssen und Meeren»

Petra Bohm | Posted 03/10/2009 | Autoren | Keine Kommentare »

fängt seine Leser im Spinnennetz…

Der Titel «Träume von Flüssen und Meeren» kommt so einschmeichelnd daher, dabei hat der englische Autor Tim Parks einen Roman geschrieben, in dem das Leben der drei Protagonisten implodiert. Die Beziehungsunfähigkeit von Menschen ist eines der immer wiederkehrenden Motive in Tim Parks Büchern, so auch in diesem, das in Delhi und in London spielt.

John James, 24-jähriger Biologie-Doktorand aus London, erhält die kurze Nachricht vom überraschenden Tod seines Vaters Albert. Zusammen mit seiner Frau Helen, einer Ärztin, lebte er in Delhi, wo er seinen unorthodoxen Forschungen über Anthropologie nachging, sich den Ruf eines Wissenschaftlers erwarb, der Außenseiter in der akademischen Welt blieb, während sich Helen für die Ärmsten der Armen aufreibt. John hatte in der symbiotischen Beziehung des Paares keinen Platz: Er wuchs in Internaten auf, wurde abgeschoben, auch wenn er die beste Erziehung genoss, die für Geld zu haben war. Gleichwohl hat er sich in seinem elternlosen Dasein eingerichtet, seine wissenschaftliche Karriere geplant und er unterhielt eine ihn zufriedenstellende Beziehung zu Elaine, einer Nachwuchsschauspielerin.

Delhi trifft ihn mit voller Wucht. Nicht nur, weil er in eine völlig fremde Welt gerät, pittoresk, bunt, laut, voller seltsamer Menschen, Gebräuche und Gerüche. Er ist auch schockiert von der Kühle seiner Mutter und befremdet von der Banalität der Beerdigungszeremonie nach indischem Ritus. Er erhält keine Antwort auf seine Frage, wieso sein Vater so plötzlich gestorben ist. Er lernt die Menschen kennen, die scheinbar das Leben seiner Eltern ausmachten, und wird sich klar darüber, wie wenig er von ihnen weiß. Aufgewühlt kehrt er nach London zurück – und findet sich plötzlich nicht mehr in seinem alten Leben zurecht. Wie es nach seiner Doktorarbeit weitergehen soll, weiß er nicht, Elaine und er entfremden sich zusehends.

Helen hingegen fühlt sich ihres Alter Ego beraubt, zumal Albert ihr willig in die Armutsgegenden dieser Welt gefolgt ist. Während sie praktische Arbeit leistete, lernte er die Landessprachen und beobachtete – mehr aus wissenschaftlicher Neugier denn aus Empathie – Gesten und Gebräuche der Menschen. Er beobachtete auch Spinnen beim Bau ihrer Netze und spann daraus seine Kommunikationsmodelle. Helen verstand sein Denken kaum mehr als die anderen. Dass sich Alberts Bruder John wegen einer unappetitlichen Familiengeschichte das Leben genommen hatte, blieb ebenso unaufgearbeitet wie Helens unerklärlicher Hass auf ihren Bruder Nick.

John kehrt drei Monate nach Alberts Tod nach Delhi zurück. Der unerklärliche Tod seines Vaters hatte ihm keine Ruhe gelassen, vor allem die Frage, warum und von wem jener kryptische, unvollendete Brief seines Vaters nach dessen Tod an ihn geschickt wurde. Auch die Frage nach den Todesumständen von Albert beschäftigt den Sohn, der sich zudem auf verwirrende amouröse Abenteuer einlässt, bei deren Schilderung Parks seinen feinen britischen Humor ausspielen kann. Überhaupt sind alle Personen im Roman auch in sexuelle Beziehungen verstrickt, jeder geht mit jedem ins Bett.
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Die ergreifendste «Bettszene» markiert das Ende des Buches: Helen umschlingt in ihrer Klinik nackt einen todkranken Jungen, gibt ihm die ganze Wärme ihres Körpers, verhilft ihm zu einem würdigen Sterben und begeht an seiner Seite Selbstmord. So findet sie John, den sie mit ihrem Tod wiederum ohne Antworten zurücklässt und der nach London zurückkehrt, um dort selbst die Biografie über seinen Vater zu schreiben.

Parks hat einen vielschichtigen Roman geschrieben, spricht vieles an und lässt vieles offen. Das macht die Stärke und die Schwäche des Buches zugleich aus. Es gleicht einem riesigen Spinnennetz, kunstvoll und präzise konstruiert, in dem sich der Leser verfängt, kleben bleibt, aber auch hilflos zappelt. Stoff zum Weiterspinnen bietet es jede Menge.
© Susanna Gilbert-Sättele/dpa

Tim Parks wurde 1954 als Sohn einer Pastorenfamilie in Manchester geboren, wuchs in London auf und studierte in Cambridge und Harvard. 1981 zog er mit seiner italienischen Frau nach Verona, wo sie heute mit ihren drei Kindern leben.

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