Verjüngt oder Verblödet?
Petra Bohm | Posted 13/10/2009 | Belletristik | Keine Kommentare »
Die Debatte über All-Age-Bücher mit einem Interview der Bestsellerautorin Isabel Abedi…
All-Age-Bücher statt Anti-Faltencreme: Heutzutage gilt es als cool und jugendlich, wenn über 40-Jährige Schmacht- oder Fantasy-Romane für Teenager lesen. Ob der verführerische Vampir Edward in Stephenie Meyers Bis(s)-Serie oder die Tintenwelt von Cornelia Funke – generationenübergreifende All-Age-Literatur fesselt und verkauft sich bestens. Mit Harry Potter nahm der Hype seinen Anfang, inzwischen finden sich in den Top Ten der Kinder- und Jugendliteratur (erstes Halbjahr 2009) nur noch vier Namen: Stephenie Meyer (fünf Plätze), Cornelia Funke (drei Plätze), Joanne K. Rowling, und Eragon-Autor Christopher Paolini.
In den Feuilletons und im Internet ist jetzt die «Eskapismus- Debatte» neu entbrannt. Von Realitätsflucht und Verkindlichung ist die Rede. «Was ist schlimm daran, wenn auch Erwachsene sich in Fantasia von den Krisen der Welt erholen?», fragen die einen. «Inzwischen geht es um mehr, denn Kinder- und Jugendliteratur leidet unter diesem Hype», warnen die anderen. Die Positionen im Überblick:
PRO: Fantasy macht Spaß. Märchen und Übersinnliches waren schon immer Teil unserer Lesekultur. Schon Mythen und Sagen aus dem Mittelalter oder Klassiker wie «Alice im Wunderland» oder Tolkiens «Herr der Ringe» zogen sowohl Kinder als auch Erwachsene in ihren Bann. Die sich wiederholenden Muster in vielen All-Age-Fantasy- Geschichten erleichtern auch ungeübten Lesern den Zugang. Sie eignen sich gut als Serie und binden Leser oft über mehrere Ausgaben. Verlage müssen mit den «Cross-over»-Titeln neue Käuferschichten gewinnen, weil es immer weniger Kinder gibt. Behandelt werden durchaus auch ernste Themen wie Trennung oder Tod.
Den Büchern schwarz-weiß-Malerei vorzuwerfen, sei angesichts der oft einseitigen Berichterstattung in den Medien «geradezu obszön» heißt es im fantasyguide.de. Auch in der Bildung setze sich das Unterhaltende immer mehr durch. Gute Literatur müsse ja nicht zwangsläufig triefen vor Pessimismus. Hans-Heino Ewers, Direktor des Instituts für Jugendbuchforschung an der Universität Frankfurt sieht eine positive Veränderung der Literaturkultur: «Spannende Unterhaltungsliteratur wird nicht mehr sofort als trivial verunglimpft.»
CONTRA: Die All-Age-Literatur, die oft aus dem Fantasy-Bereich stammt, führt zur Flucht in eine Welt, in der stets das Gute das Böse besiegt. Sie verleitet zum Eskapismus statt zur Auseinandersetzung. Es handelt sich häufig um stereotype Geschichten und einfache Serien- Strickmuster. Die Romane führen zu einer Infantilisierung von Literatur und Lesern (angeblich lassen verzauberte Leserinnen nachts das Fenster für Vampir Edward auf). Verlage konzentrieren sich zunehmend auf wenige Titel und vernachlässigen altersgerechte Kinder- und Jugendliteratur. Nicht den Kindern, sondern den Erwachsenen werden neue Texte erschlossen.
«Geht da nicht gerade etwas den Bach runter, das man schmerzlich vermissen wird, solange es Kinder gibt, nämlich eine Literatur, die sich an sie richtet und dabei ihr Weltwissen und ihre Wünsche respektiert?», fragt Tilman Spreckelsen in der «Frankfurter Allgemeine Zeitung». «Kinder brauchen Bücher, an die sie sich später noch erinnern», pflichtet ihm Renate Reichstein von der Arbeitsgemeinschaft Jugendbuchverlage (AVJ) bei. «Altersgerechte Kinderliteratur kommt viel zu kurz. Weil alle nur noch auf All-Age schielen, verlieren wir zum Beispiel die Gruppe der 6 bis 11-Jährigen völlig aus dem Blick. Es ist jammervoll.»
Bleibt noch die spannende Frage, warum solche Romane Mädchen, Mamis und zunehmend auch Männer gleichermaßen begeistern. Werden Kinder heute vielleicht schneller erwachsen oder bleiben Erwachsene länger jung? «Vermutlich beides», meint Martin Wambsganß, Psychologe an der Universität Tübingen und Lehrbeauftragter für Kinder- und Jugendliteratur. Er hält die Debatte für überzogen. «Jedes Buch, das gelesen wird, ist ein gutes Buch.»
© Karolin Köcher/dpa
Die Autorin Isabel Abedi hat gerade ihren neuen Jugendroman «Lucian» vorgelegt. In dem Buch (Arena Verlag), das sie auch auf der Frankfurter Buchmesse vorstellen wird, geht es um die beiden Jugendlichen Lucian und Rebecca. In einer Mischung aus Fremdheit und Nähe fühlen sie sich voneinander angezogen, bis sie erkennen, dass sie ein tiefes Geheimnis verbindet. Die ehemalige Werbetexterin schreibt auch erfolgreich Kinderbücher – ihre «Hier kommt Lola!»-Reihe (Loewe-Verlag) hat eine Auflage von einer Million und wird gerade fürs Kino verfilmt. Wie die 42-Jährige in einem Interview mit der Deutschen Presse Agentur dpa sagte, widerstrebt es ihr, wenn Bücher von Anfang an in eine Schublade gesteckt werden.
Was halten Sie von der erneut aufgeflammten Debatte um All-Age- Bücher?
Abedi: «Ich glaube nicht an generelle Altersgrenzen, weder nach oben noch nach unten. Ich finde vielmehr, dass die Erwachsenen endlich aufhören sollten, alle Kinder und Jugendlichen in einen Topf zu werfen. Ein Mensch kann mit siebzehn noch kindlich sein, ein anderer mit zehn schon jugendlich – und ich kenne Fünfzigjährige, die in der Pubertät stecken geblieben sind. Jedes Buch sollte aber eine gewisse literarische Qualität haben, und zwar völlig gleichgültig, von welcher Altersgruppe es gelesen wird.»
Sind All-Age-Bücher, die ja häufig im Fantasy-Bereich angesiedelt sind, eine Flucht aus der Realität?
Abedi: «Auch hier entscheidet meiner Meinung nach nicht die Schublade Fantasy, sondern die Qualität der Geschichte. Es gibt Fantasy- Literatur zum Niederknien, und es gibt “realistische” Bücher, die einem die Schuhe ausziehen, weil sie grottenschlecht geschrieben sind. Und was die Realitätsflucht betrifft: solange man heil zurück kommt, sind die kleinen Fluchten, die uns gute Bücher bieten doch etwas Wunderbares!»
Ist es als Autorin schwieriger, ein Buch für 6 bis 11-Jährige an Verlage zu verkaufen, weil alle auf die begehrte All-Age-Zielgruppe schielen?
Abedi: «Ich persönlich bin unter anderem deshalb so glücklich bei meinen Verlagen, weil ich mir genau diese Frage nicht stellen muss. Und was begehrte Zielgruppen betrifft: Wer zu viel schielt, verdirbt sich nur die Augen, und das ist hinderlich beim Lesen. Ich empfehle Lesern allen Alters, neugierig zu bleiben und bei der Entscheidung für oder gegen ein Buch einen Blick in den Inhalt zu werfen.»