Neuer Fall, bewährter Stil: Montalbano ist wieder da
Petra Bohm | Posted 02/08/2010 | Krimis | Keine Kommentare »Krimiautoren sind Wiederholungstäter, genau wie ihre Leser. Erst in der Serie macht die Suche nach dem Täter richtig Spaß. Die Fans des sizilianischen Commissario Salvo Montalbano können ihre Sehnsucht nun einen Leseabend lang stillen – der neue Camilleri ist da…
Bei Krimiserien kommen die Behaglichkeit des Gewohnten und die Lust am Neuen zusammen. Ein Extrembeispiel ist Nero Wolfe, der legendäre Privatdetektiv von Rex Stout. Das Backsteinhaus in New York, die Orchideen, das Bier, die grantlige Genialität des dicken Wolfe und sein drahtiger Assistent Archie Goodwin blieben über vier Jahrzehnte konstant, als könne die Zeit ihnen nichts anhaben.
Jedes Mal überraschend waren dagegen die Verbrechen, die sie aufzuklären hatten. So kann man den einen Lieblingskrimi immer wieder lesen, ohne dass es langweilig wird.
Andrea Camilleris Montalbano-Romane funktionieren ganz ähnlich. Auch der grummelige, ewig pubertierende Commissario hat über die vielen Jahre hinweg keine dramatische Persönlichkeitsentwicklung durchlaufen. Immer noch führt er die Fernbeziehung zu seiner Livia und die Nichtbeziehung zu Ingrid. Adelina stellt ihm wieder die raffiniert einfachen Köstlichkeiten in den Kühlschrank, und Wachtmeister Catarella sorgt für die aberwitzigsten Verdrehungen.
Wolfe und Montalbano haben auch sonst einiges gemeinsam. Das ziemlich prekäre Gleichgewicht, in dem sie ihr Leben halten, zum Beispiel. Und dass sie genau dadurch sensibel sind für Dinge, die andere übersehen würden, die es den beiden aber erlauben, auch die kompliziertesten Zusammenhänge zu entwirren. Kultiviertheit und die Liebe zum Essen helfen ihnen bei ihrem emotionalen Balanceakt.
Im neuen Camilleri wird dies in einer Szene besonders schön deutlich. Montalbano kommt mit dem mörderischen Pferdediebstahl, um den es diesmal geht, nicht recht voran. Er isst wie so oft bei Enzo zu Mittag, aber diesmal schmeckt es ihm nicht. Und wer beschwert sich darüber? «Dottori, heute bin ich aber nicht so zufrieden mit Ihnen wie sonst», sagt der Trattoria-Wirt Enzo. Und Montalbano entschuldigt sich bei ihm: «Ist wohl nicht mein Tag.» Verlass ist auch wieder auf Moshe Kahn, der in seiner Übersetzung nicht nur die italienische Melodie erhält, sondern auch die sizilianischen Zwischentöne.
Ob sich irgendwann auch zu viel Verlässlichkeit einschleichen kann in so eine Serie? Ob ein Fall zu wenig neu sein, zu geringe Ansprüche an die Spitzfindigkeit der Leser stellen kann? Camilleri scheint das zu befürchten. Jedenfalls zwingt er seine Leser zu ganz besonderer Aufmerksamkeit, indem er den Commissario und einen Staatsanwalt über den Fall in spanischen Fantasienamen reden lässt. Das mag literarisch reizvoll sein, erzeugt aber letztlich nur Ersatzspannung.
Und die Erzählung bricht etwas unvermittelt ab. Nicht alle Fäden werden zu Ende gesponnen, zum Beispiel der Auftrag, den Catarella mit so viel Eifer übernimmt. Trotzdem: Montalbano-Fans können sich freuen – und danach gleich wieder mit dem Warten beginnen.
© Jürgen Hein/dpa