Emma Donoghue: Raum
Hannah Gi | Posted 28/08/2011 | Belletristik | Keine Kommentare »Emma Donoghue hat sich für ihren Roman die traurige Geschichte von Elisabeth Fritzl und ihrem Sohn Felix zum Vorbild genommen und dafür durchaus auch Kritik geerntet. Vollkommen zu Unrecht, wie ich finde. „Raum“ ist kein bisschen marktschreierisch oder voyeuristisch, sondern ein beklemmendes, anrührendes und mitunter komisches Buch, das man eigentlich gar nicht mehr aus der Hand legen möchte…
Jacks Mutter wurde mit 19 von „Old Nic“ entführt, in einen Gartenschuppen gesperrt und seither immer wieder missbraucht. Zum Zeitpunkt der Geschehnisse lebt sie seit 7 Jahren in dem Schuppen. Jack ist fünf, in Gefangenschaft geboren und der Raum, in dem er mit seiner Mutter lebt, ist für ihn die ganze Welt. Folglich sind auch alle Gegenstände im Zimmer einzigartig, weshalb er sie konsequent als Personen betrachtet, er legt sich „in Schrank“ spielt „unter Tisch“ und wohnt „in Raum“. Seine Versuche, sich einen Reim auf das, was er im Fernsehen und aus Büchern erfährt zu machen, sind nicht unbedingt von Erfolg gekrönt, und als sich seine Mutter eines Tages entschließt, ihm reinen Wein einzuschenken, macht dies die Sache nicht einfacher: „´Pass auf. Was wir im Fernsehen sehen…das sind Bilder von wirklichen Dingen.` Das ist das Verrückteste, was ich jemals gehört habe. (…) ´Richtige Menschen? Sie nickt. ´Und die Orte sind auch echt, die Farmen zum Beispiel und die Wälder und die Flugzeuge und Städte…` ´Nie im Leben.` Warum veräppelt sie mich? ´Wo sollen die denn hinpassen?` ´Da draußen` sagt Ma. ´Ins Freie.` Sie wirft den Kopf zurück. ´Draußen hinter Bettwand?` Ich glotze ihn an. ´Draußen hinter Raum.` Sie zeigt jetzt in die andere Richtung, wo Herdwand ist. Ihre Finger machen einen Kreis. ´Die Geschäfte und die Wälder düsen im Weltall rum?`”
Obwohl seine Mutter Jack bisher immer vor ihrem Peiniger hat schützen können, wird ihr klar, dass sie einen Fluchtversuch wagen müssen. Wie die beiden die Flucht umsetzen, ist wirklich so spannend geschrieben, dass ich unbedingt wissen musste, wie es weiter geht, obwohl mir schon klar war, dass der zweite Teil in Freiheit spielt. Dort warten allerdings viel größere, unbekannte Herausforderungen auf Jack, denen er sich unerschrocken und neugierig stellt, auch wenn ihm manchmal wirklich alles über den Kopf wächst, und Missverständnisse vorprogrammiert sind. „Dann sehe ich eine Telefonzelle und spiele, dass ich Supermann bin und mir gerade mein Kostüm anziehe, ich winke Ma durch das Glas zu. Es gibt lauter kleine Karten mit Smileys, auf denen steht üppige Blondine 18 und Philippinische Transe, die gehören jetzt uns, gefunden ist gefunden, aber als ich sie Ma zeige, sagt sie, das ist Dreckszeug, und ich muss sie in den Müll werfen.“
„Raum“ ist eine von den Geschichten, die einem nachgehen und die ruhig noch ein wenig weiter erzählt werden dürften, aber vielleicht kommt ja bald ein weiteres Buch von Emma Donoghue, ich würde mich freuen.