Eine logische Gleichung
Petra Bohm | Posted 16/10/2011 | Belletristik | Keine Kommentare »Junger Autor + junger Protagonist = fast genial = eine höchst gelungene Mischung aus Entwicklungsroman und Road-Movie für erwachsene Leser + ältere Kids = Lesevergnügen x 2 = eine lohnende Investition!
Francis Dean, knapp 18 Jahre jung, aber reifer wirkend, lebt mit seiner geschiedenen Mutter in einem heruntergekommenen Trailerpark von New Jersey – sozialer Tiefpunkt der amerikanischen Gesellschaft vor der Obdachlosigkeit. Beide haben bessere Zeiten gesehen, die Mutter ist gebildet, hatte früher studiert und Francis und seinen jüngeren Halbbruder zusammen mit ihrem Exmann Ryan liebevoll erzogen. Die Familie war wohlhabend, lebte in einem schönen großen Haus. Francis weiss nicht, wer sein leiblicher Vater ist, aber Ryan zog ihn auf wie einen eigenen Sohn und so spielte es auch keine große Rolle. Mit der Trennung der Eltern veränderte sich alles. Stiefvater und -bruder zogen nach New-York. Man weiss nicht, ob die sich schleichend verschlimmernde manische Depression von Francis Mom Auslöser für die Trennung war oder umgekehrt, jedenfalls ist sie die Ursache für das ärmliche, hoffnungslose Dasein von Mutter und Sohn und nach einem weiteren Zusammenbruch für deren erneute Einlieferung in die Psychiatrie.
An diesem Zeitpunkt steigt der Leser in die Geschichte ein, erfährt von Francis, dass er als Kind mal ein hochmotivierter Schüler und Sportler war, während er jetzt nur noch “abhängt” sowohl in der Schule als auch privat. Am liebsten mit seinem nerdigen Schulfreund Grover, auf dessen heiles Familienleben Francis zwar neidvoll aufblickt, ihn für seine Rolle als verklemmten, blassen Aussenseiter mit einem Hang zu peinlichen T-Shirtaufdrucken eher bemitleidet. Mit seinem Job in einem Diner versucht Francis sich und seine arbeitslose Mutter durchzubringen. Er will irgendwie raus aus dieser elenden Mühle, schafft aber den Absprung nicht und muss sich nun zum wiederholten Male um seine depressive Mutter in der Klinik kümmern. Dort entdeckt der 17jährige in einem Patientenzimmer das in seinen Augen wunderbarste Mädchen der Welt: die 19jährige Anne-May, die nach einem Selbstmordversuch “einsitzt”. Durch seine beharrlichen und geschickten Versuche nähern sich beide an.
Mehr darf ich jetzt von der Handlung eigentlich kaum verraten, ohne dem ersten Teil des Plots wichtige Spannungsmomente zu nehmen. Wichtig ist: Francis erfährt überraschend, dass sein leiblicher Vater keinesfalls eine belanglose Affäre seiner Mutter war, sondern dass er ein Retortenkind ist, Ergebnis eines Experiments: der Samenbank der Genies, gezeugt von einem unbekannten, genialen Wissenschaftler, von dem er nur weiss, dass dieser Harvard-Absolvent und Cellospieler ist, einen IQ von 170 hat und angeblich an der Westküste lebt. Gemeinsam mit Grover und Anne-May macht sich Francis auf die Suche nach seiner Herkunft und letztendlich auch auf die Suche nach sich selbst. Gleichzeitig sieht er auch die langersehnte Chance, seinem Leben die Wende, den Kick zum Besseren zu geben.
Wells Roadmovie dreht sich in vielerlei Hinsicht um die Frage: In welchem Maße sind wir ein Produkt unserer Gene und können wir diese Vorbestimmtheit beeinflussen?
Interessante Figuren, temporeich und einfallsreich erzählt mit einer guten Portion Tragikkomik. Fesselnd, leicht zu lesen aber nicht seicht – was will man mehr: fast genial! (Verfilmung nicht ausgeschlossen?)
Unglaublich aber wahr – Die Samenbank der Genies gab es in den 80er Jahren wirklich. Autor Benedict Wells hörte davon und liess sich zu diesem Roman inspirieren – insofern beruht dieser auf Tatsachen. Wer sich näher für das Projekt des Milliardärs Warren P. Monroe interessiert kann bei der bbc oder Spiegel-online mehr erfahren.