“Leichtes Beben” von Peter Henning
Petra Bohm | Posted 11/10/2011 | Belletristik | Keine Kommentare »Roman steht drauf – Episodenroman ist drin. Für alle, die schon Kehlmanns “Ruhm” mochten und für Peter-Henning-Fans sowieso!
Er hat es wohl mit Naturereignissen: was bei Peter Hennings großem (und großartigen) Familienroman “Die Ängstlichen” das Unwetter war, ist in diesem Falle ein “leichtes Beben” im Süddeutschen. Während die Wetternachrichten in dem vielgepriesenen Familienroman für Symbolik und düstere Stimmung sorgen, gibt der Erdstoß den einzelnen Episoden dieses feinen Erzählbandes eher eine Klammer, bildet auch eine Metapher für seelische Erschütterungen, die den Menschen in Hennings Erzählreigen widerfahren. Nur für einen kurzen Moment geraten sie aus dem Tritt – oft mit weitreichenden Folgen.
Anfangs war ich dann doch verwundert, als ich statt einer zusammenhängenden Geschichte auf rund 330 Seiten 31 einzelne Episoden fand (Klappentexte lese ich meist nicht vor Beginn der Lektüre), zumal sich mir deren Zusammenhang nicht auf den ersten Blick erschloss.
Unaufgeregt und wie beiläufig berichten die klassisch-realistischen Kurzgeschichten von Ereignissen, die ihre Protagonisten erschüttern. Das ist zwar in den ersten Kapiteln wunderschön zu lesen, weil Henning es mit lakonischem Sprachstil wieder einmal gelingt, eine ungeheuer dichte, allerdings auch düstere Atmosphäre zu erschaffen, “zieht” aber noch nicht wirklich. Aber: UNBEDINGT durchhalten, denn nach und nach verdichtet sich dieser Kosmos immer mehr und wird – obwohl nicht wirklich etwas “passiert” – fesselnd wie ein Krimi.
Und hier für alle, die es “vorher” mögen: Der Klappentext
Ein Mann stattet seiner verstorbenen Mutter einen letzten Besuch ab, legt nichts ahnend seine Hand auf ihre Stirn und fürchtet plötzlich um sein Leben. Einem anderen läuft ein Junge vors Auto und zwingt ihn damit auf eine gemeinsame Odyssee. Ein Engländer reist zu seiner Scheidung nach Zürich und begegnet einer geheimnisvollen Schönen, die ihm den Seelenfrieden raubt. – Die Menschen in Peter Hennings Erzählreigen kämpfen um den aufrechten Gang und eine Handvoll Glück. Stets balancieren sie auf dem schmalen Grat zwischen Hoffnung und Desillusion. Sie leben im Transit, ihre Gewissheiten sind erschüttert. Hennings klug komponierter Roman erinnert an die Erzählwelt des großen Raymond Carver, eine Welt im künstlichen Licht.
focus
“Peter Henning erzählt von dem Moment, in dem ein Leben aus den Fugen gerät – und erweist sich damit als herausragender Seismograph gesellschaftlicher Strömungen.”
Peter Henning, geb. 1959 in Hanau, arbeitet seit über 20 Jahren als Journalist. Er hat Romane und Erzählungen publiziert, die sowohl ausgezeichnet worden sind als auch von der Kritik viel Lob ernteten. 2009 erschien »Die Ängstlichen« (atb 2681-9), »Der Roman zur Zeit«, so Der Spiegel.