Tolle Politsatire

Petra Bohm | Posted 18/11/2011 | Belletristik | Keine Kommentare »

Cover, Titel und Rückentext führen potentielle Leser leider auf eine falsche Fährte – das neue Buch von Katharina Münk ist keine irrwitzige Slapstick-Komödie, sondern eine wirklich intelligente und herrlich satirische Fiktion, die durchaus auch nachdenklich stimmt…

Hat hoffentlich schon jemand Angela (Merkel) dieses Buch in den Briefkasten geworfen? Lieber Verlag: ansonsten unbedingt nachholen! Denn dass die namenlose “europäische Regierungschefin” auffällig viele Ähnlichkeiten (Mundwinkel, Blazer, SMS) mit der amtierenden Bundeskanzlerin hat, wird schon nach wenigen Seiten klar – auch dass sie gerne ihren Leibwächtern bei Waldspaziergängen “entwischt” haben Protagonistin und reale Figur gemeinsam. Und dieses Eigenschaft bedingt auch die Ausgangssituation des Romans.

Die Regierungschefin hat die Nase voll von ständiger Überwachung und hat ihren Mann überredet, mit ihr aus dem offiziellen Urlaubsort auf La Gomera zu fliehen und heimlich und unerkannt eine lang erträumte Fahrt mit der Transsibirischen Eisenbahn zu unternehmen. Die Flucht gelingt, zurück bleibt der bedauernswerte Herr Bodega, der ausgetrickste und per SMS zum Schweigen verdonnerte Leibwächter, der übrigens bis auf einen weiteren jungen Mann die einzige Person im ganzen Buch ist, die einen Namen trägt. Ein interessantes Stilmittel, das der Phantasie des Lesers viel Raum für eigene Vorstellungen lässt und dabei viel netter zu lesen als vermeintlich lustige Namenschöpfungen.

Auf dieser Reise passiert nun das Einzige, das ich an diesem Buch ziemlich albern fand: In Omsk fällt der “Chefin” zufällig ein Bahnhofsschild aufs Haupt. Hmm. Nagut. Doch ab dann geht die Geschichte richtig los. Denn als sie ein paar Tage später in einem sibirischen Krankenhaus aus dem Koma erwacht, ist ihre größte Angst, den “demokratischen Aufbruch” verpasst zu haben. Hat sie auch – und noch einiges andere, denn ihr Mann muss leider feststellen, dass seiner Frau die kompletten letzten 20 Jahre inklusive Wende und Wahl zur Kanzlerin fehlen. Unerfreulicherweise funktioniert auch das Kurzzeitgedächtnis nur noch bis zum nächsten Nachtschlaf.

Das klingt jetzt erstmal nach der bekannten “und ewig grüßt das Murmeltier”-Grundidee – ist aber eigentlich das Gegenteil, denn es findet keinesfalls der gleiche Tag mehrmals statt, sondern die Zeit verrinnt unerbittlich. Das Ende der Regierungs-Sommerpause naht. Der Gatte sieht sich gezwungen, den engsten Beraterkreis einzuweihen und dieser wiederum beschließt aus machtgieriger Motivation, dem Volk und der Politik vorzugaukeln, dass mit der Chefin alles in Ordnung sei. Die ist grundsätzlich regierungswillig und wird nun allmorgendlich mit Hilfe von Videopodcasts gebrieft und “auf Schiene” gesetzt. Der Plan funktioniert zunächst – allerdings mit einigen Nebenwirkungen: Sie regiert plötzlich aktiv statt abzuwarten, spontan, unvoreingenommen, ja geradezu leidenschaftlich. Auch auf der Suche nach ihrem Gedächtnis kennt sie kein Pardon, denn ihr Therapeut hat erkannt, dass nur emotionale Erlebnisse dem Hippocampus wieder auf die Sprünge helfen, notfalls auch mit Sprüngen auf dem Eis.

Der ganze Politzirkus mit seinen leeren Worthülsen wird hier herrlich auf die Schippe genommen. Nur so gelingt es auch der Regierungschefin Unwissen und Ahnungslosigkeit geschickt und unbemerkt zu überspielen und (wie gewohnt) zu labern, ohne Inhalte zu transportieren. Wahrscheinlich ist dieser Zustand realitätsnaher als uns lieb ist…

Katharina Münk hat 2009 bereits einen Bestseller mit ihrer vielgelobten Wirtschaftssatire “Die Insassen” veröffentlicht. Ich wünsche “Der Eisläuferin” genauso viel Erfolg! Unbedingt lesen!

Achso: JA – das Ganze schreit nach Verfilmung!

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Titel:
Die Eisläuferin: Roman

ISBN-13:
9783423248815

Autor:
Katharina Münk

Verlag:
Deutscher Taschenbuch Verlag

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