Am Vorabend des spanischen Bürgerkriegs
admin | Posted 23/01/2012 | Belletristik | Keine Kommentare »Eindrucksvolles Sujet, eindrucksvolle Szenen und ein eindrucksvoller Umfang: Antonio Muñoz Molina bietet in seinem 1.000 Seiten starken Roman ein üppiges Panorama über den Vorabend des spanischen Bürgerkriegs…
Ende der Dreißiger Jahre des vergangen Jahrhunderts begann in Spanien ein dunkles Kapitel der Geschichte und der Leser von „Die Nacht der Erinnerungen“ findet sich inmitten der Wirren und der Geschichte der inneren wie äußeren Zerrissenheit eines ganzen Volkes wieder.
Wortgewaltig lässt Molina den angesehen Architekten Ignacio Abel aus Madrid in seinen Erinnerungen schwelgen. Der Leser taucht ein in eine Zeit, die Spanien schweres Leid und Verzweiflung brachte. Detailreich lässt der Autor seinen Protagonisten noch einmal familiäre Intimitäten, verwandtschaftliche Zwistigkeiten und das Aufeinandertreffen mit historisch belegten Persönlichkeiten durchleben.
In Wirklichkeit ist Ignacio Abel schon längst fern der Heimat. Er ist kurz davor, eine Anstellung in Amerika anzunehmen und ist gerade an der Pennsylvania Station in New York angekommen. Aber neben der neuen beruflichen Herausforderung und der Flucht vor dem nahenden Krieg zuhause gibt es noch einen weiteren Grund für seine Flucht aus der Heimat.
Noch vor den Wirren in Spanien hat er eine leidenschaftliche wie verhängnisvolle Affäre mit einer Amerikanerin begonnen. Lange bleibt die Liebe unentdeckt, doch als Abels Frau dahinter kommt, unternimmt sie einen Selbstmordversuch. Judith, die amerikanische Geliebte, macht sich Vorwürfe und verschwindet aus Ignacios Leben. Der Beginn vom Ende seines bekannten Lebens. Nicht nur seine Familie, sondern auch seine Heimat bricht auseinander.
Nach und nach lösen sich in Madrid die festen Konturen auf. Wem kann man noch trauen? Wer ist Falangist? Wer Anarchist? Auf den Straßen herrschen das Chaos und unmenschliche Härte. Als dann auch noch die Tochter eines alten Freundes aus Deutschland um Hilfe bei der Suche nach ihrem Vater bittet und er dies nicht ausschlagen kann, gerät auch Ignacio Abel in den Strudel der Gewalt. So wird er, obwohl er in seinem Viertel bekannt und angesehen ist, erst kurz vor der Exekution gerettet.
Doch der Autor belässt es nicht bei der chronologischen Erzählweise. Immer wieder springt er zu Ignacio Abel, der auf dem Weg zu seiner neuen Stelle in den Vereinigten Staaten ist. Zermürbt von dem erlebten Leiden seines Volkes, versucht der Architekt seinen Erinnerungen zu entfliehen und hält doch stark an der Vergangenheit fest. So ist er ein von der Traurigkeit gebrochener Mann, weil er seine beiden Kinder belogen und schließlich zurückgelassen hat und doch getragen von der Sehnsucht nach dem Neuen, nach einer heilen Welt – in der er sich auch ein Wiedersehen mit seiner Judith erhofft. An der Erinnerung, auf einem alten Foto gebannt und immer in der Anzugtasche, klammernd, hält er mit sehnsüchtigen Blicken beständig nach der Geliebten und einem neuen Leben Ausschau.
Molina gelingt es eindrucksvoll, die Zerrissenheit und Ängste des Auswanderers zu schildern, ebenso wie die Zerrissenheit eines ganzen Landes. „Die Nacht der Erinnerungen“ ist ein Porträt einer bleiernen Zeit in Spanien, das seinen Charakteren viel Platz einräumt.
Text: HvC