“K”
Petra Bohm | Posted 29/02/2012 | Belletristik | Keine Kommentare »Das Feuilleton überschlägt sich in Interpretationen und das lässt es vielleicht schon ahnen: leichte Kost ist es nicht, was uns der englische Avantgarde-Erfolgsautor (“8 1/2 Millionen”) Tom McCarthy in seinem Roman vorlegt – doch davon sollte man sich keinesfalls abschrecken lassen!
Womit der Leser es zu tun bekommt, macht das Special auf der Verlagsseite recht deutlich:
“Mit Tom McCarthy beginnt eine neue Zeitrechnung in der britischen Gegenwartsliteratur. Sein Debüt 8 1/2 Millionen, im englischen Original 2006 unter dem Titel Remainder veröffentlicht, rief als postexistenzialistische Parabel große Begeisterung hervor, wurde preisgekrönt und zum Bestseller. (…) “K” ist eines dieser Bücher, die die Zukunftsfähigkeit des realistischen Romans zur Diskussion und damit das Schreiben wie das Denken in seiner Gesamtheit auf den Prüfstand stellen. Für viele englische Kritiker blitzt hinter den Zeilen dieses Romans die »Zukunft der Literatur« schlechthin hervor, allerdings kontrapunktisch zum Realismus eines Jonathan Franzen etwa, an dessen Roman “Freiheit” ebenfalls diese Messlatte angelegt wurde.
Seit Veröffentlichung von K zählt Tom McCarthy zu den wichtigsten und ambitioniertesten englischen Gegenwartsautoren, der neue literarische Maßstäbe zu setzen vermag. Der 1969 geborene Brite sucht in der Kunst immer das Experiment, das Konventionen überwindet und so das Denken vorantreibt – Zukunft also in die Gegenwart holt. Für dieses Streben wurde er belohnt: K wurde im Jahr 2010 für den Booker-Preis nominiert, den wichtigsten aller Literaturpreise in der englischsprachigen Welt. Damit ist Tom McCarthy nicht mehr nur ein Autor, der als Geheimtipp unter Anhängern der literarischen Avantgarde gilt, sondern einer, der Leser in der ganzen Welt findet; sein Werk wird in rund zwanzig Sprachen übersetzt…”
Halt – jetzt nicht gleich abschrecken lassen, denn man kann den Roman auch ganz normal als “Bildungsroman” lesen, als ein Kaleidoskop des Beginn der Industrialisierung, als Spiegel jener Epoche des frühen zwanzigsten Jahrhunderts, die man oft als Geburtsstunde unserer Gegenwart bezeichnet.
Hauptfigur ist Serge Karrefax, den der Leser von seiner Geburt im Jahr 1898 bis zu seinem Tod 1922 begleitet:
“ Serge erblickt das Licht der Welt, den Kopf mit einer sogenannten Glückshaube bedeckt, die ihn als etwas Besonderes auszeichnet – so besonders wie die Familie, in die er hineingeboren wird. Die Mutter, gehörlos seit Geburt, betreibt auf dem weitläufigen, mit Maulbeerbäumen bestandenen Anwesen eine ererbte Seidenspinnerei in traditioneller Manier; der Vater, ein Exzentriker, der sich mit den neuesten elektrischen Apparaten der Radio- und Funktechnik umgibt, leitet eine Tagesschule für Gehörlose. Inmitten dieser ländlichen Idylle wächst Serge auf. Während seine ältere Schwester Sophie sich als naturwissenschaftliches Genie erweist, wie besessen Pflanzen und Insekten studiert und mit hochgefährlichen Chemikalien experimentiert, ist Serge ein Junge, der die Tage verträumt und die Nächte mit der Jagd auf Funksignale im Äther verbringt. Wie sein Vater hegt er eine große Leidenschaft für die revolutionären Neuerungen des gerade angebrochenen Zeitalters der Telekommunikation. (…)
K ist eine faszinierende Reise durch die Vergangenheit, voller staunenswerter Details über die bahnbrechenden technischen Entwicklungen der Zeit: die Funktechnologie, die ersten bildgebenden Verfahren, die Bedeutung der Radiowellen im Ersten Weltkrieg. Er führt uns auf die deutschen Schlachtfelder, über die der Funker Karrefax, Hölderlin auf den Lippen, mit seinem Flugzeug hinwegfliegt; in das nur unweit von Thomas Manns Zauberberg liegende tschechische Kurbad Klodebrady, wo der junge Karrefax von der Melancholie geheilt werden soll, und in das Swinging London der zwanziger Jahre mit seinen Séancen, Sex- und Drogenexzessen.
K führt uns aber auch in das Ägypten Howard Carters, der die Schätze Tutanchamuns ans Licht der Welt bringt. Dort steigt unser Held hinab in die gewaltigen Grabkammern, versucht die frühesten Botschaften der Menschheit zu entschlüsseln, sich dem Ursprung der Literatur zu nähern, der Kultur, dem Menschsein überhaupt. Über dem ganzen Geschehen prangt der Buchstabe K – das Zeichen für Kohlenstoff , das Element des vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Lebens.
K ist ein prall mit Fakten, Ideen und Bildern angefüllter historischer Roman, ist Bildungsroman, Kriegserinnerung, Freud’sche Fallstudie, Archäologie und vieles mehr. (…)”
Und da bekommt man nun doch richtig Lust, sich an die prall gefüllten 480 Seiten zu wagen. Oder?
Fazit: Kommt ganz nach oben auf den SUB!