Kaltes Klima heisses Gemüt
admin | Posted 04/04/2012 | Krimi, Orell Füssli | Keine Kommentare »Die Britischen Inseln bieten landschaftliche Schönheit und ein reiches kulturelles Erbe. Zu Letzterem gehören auch die Krimireihen des Schotten Ian Rankin und der Irin Tana French – beide lassen uns tief in die Seele ihrer Landsleute blicken…
Text: Benjamin Gygax
Schotten und Iren haben eines gemeinsam: In unserer Vorstellung sind sie zwar sympathische, aber trinkfreudige und zu handfesten Argumenten neigende Querköpfe. Überprüft man diese Vorstellungen vor Ort, wird man die Bewohnerinnen und Bewohner der Britischen Inseln als liebenswürdige Menschen kennenlernen. Doch die Krimiautoren liefern uns auch Figuren, die den harten Kerlen aus dem Klischee entsprechen.
Polizisten vor und nach dem Entzug
Detective Inspector John Rebus von der Edinburgher Polizei braucht Bier und liebt Single Malt – besonders, wenn er sich wieder mal mit den Mächtigen auf beiden Seiten des Gesetzes angelegt hat. Und der Ermittler des Schotten Ian Rankin hat nicht zuletzt wegen seiner rauen Seiten eine riesige Fangemeinde. In seinem Lieblingssessel vor sich hindämmernd, vertreibt der schwermütige Querkopf mit Rockmusik und Alkoholika jene Geister, die ihn nach jahrelanger Wühlarbeit in Edinburghs Unterwelt Nacht für Nacht heimsuchen. Ende 2008 schickte ihn Ian Rankin nach 17 Fällen in den Ruhestand. 2009 brachte der Autor einen neuen Ermittler: Malcolm Fox. Foxy, wie ihn seine Freunde nennen, hat seinen Entzug im Gegensatz zu Rebus schon hinter sich. Dafür muss er sich gelegentlich «Scheiss Spanner» oder «perverses Schwein» anhören – nicht von Kriminellen, sondern von Kollegen. Er arbeitet bei der Edinburgher Polizei in der «Internen» und ermittelt gegen Polizisten, die «auf die dunkle Seite geraten sind».
Schweinehirt und Bestsellerautor
Dass John Rebus aus der Region Fife östlich von Edinburgh stammen soll, ist kein Zufall: Ian Rankin wurde in Fife geboren und hat dort 18 Lebensjahre verbracht. Was man Schotten unterstellt, gilt für die Bewohner dieser vom Kohlebau geprägten Gegend ganz besonders. Es sind harte und ausgebuffte Kerle; und der schottische Volksmund besagt, wer mit einem Fifer Suppe essen wolle, brauche einen langen Löffel. Zu diesem Bild passt, dass Ian Rankin gemäss eigenen Angaben zunächst als Erntehelfer, Schweinehirte, Alkoholtester, Journalist für ein Hi-Fi-Magazin und Sänger einer Punk-Band tätig war. Danach studierte er englische Literatur an der Universität in Edinburgh. Heute gehört er zu den erfolgreichsten Britischen Krimiautoren. Er lebt mit seiner Frau und seinen zwei Söhnen in Edinburgh. In einem Interview meinte Rankin, es könne durchaus sein, dass Fox einmal auf Rebus stosse. Vielleicht müsse er mal eine Ermittlung führen, die mit einer alten Leiche aus Rebus’ Schrank zu tun habe. Die Fans würden sich darüber sicher freuen.
Düstere Vergangenheit in Irland
Wer Reiseliteratur nicht für Schottland, sondern für Irland einpackt, sollte auch die Bücher von Tana French mitnehmen. Die 1973 geborene Amerikanerin lebt seit 1990 in Dublin, wo sie am Trinity College eine Schauspielausbildung machte. Ihr erster Roman «Grabesgrün» erschien 2007; er führte den Erzähler und Ermittler Rob Ryan ein. 1984 wird dieser als Zwölfjähriger traumatisiert im Wald aufgefunden, ein befreundeter Junge und ein Mädchen bleiben verschollen. Inzwischen ist Ryan Polizist, und er wird zusammen mit seiner Partnerin Cassie Maddox zum Fundort einer Leiche gerufen. Die zwölfjährige Katy Devlin wurde vergewaltigt und erschlagen. Die Ermittlungen stocken lange, bis Ryan per Zufall auf ein Schlüsselindiz und auf die Spur eines Psychopathen stösst.
Von Menschen und Schafen
Wem das jetzt zu sehr nach bluttriefender Serientäter-Geschichte tönt, darf beruhigt sein. French lässt sich nicht zu Blut und Action hinreissen, sondern nimmt sich auf 700 Seiten Zeit, ihre Figuren zu entwickeln. Schliesslich interessiert sie sich eher wie Patricia Highsmith für die psychologischen Aspekte ihrer Geschichte. Ihre Serie hat sie in «Totengleich» mit der Figur von Cassie Maddox fortgesetzt; ihr drittes und viertes Buch sind dann völlig eigenständig. Wer es etwas leichter und schräger liebt und erst noch Schafe mag, sollte es vielleicht auch einmal mit Leonie Swann probieren. Die Münchnerin hat schon ihren zweiten Krimi mit ermittelnden Schafen veröffentlicht. Die etwas exzentrische Idee hatte sie während einer Irland-Reise. Passend ist das auf jeden Fall – denn exzentrisch sind sie ja auch ein bisschen, die Bewohner der britischen Inseln.