Nachdenken über den Sinn der Arbeit

Books | Posted 11/05/2012 | Orell Füssli, Philosophie und Religion, Sachbuch | Keine Kommentare »

Foto: Laurent Denimal

Einen grossen Teil unseres Lebens arbeiten wir – oft aus purer Notwendigkeit, oft auch aus Freude. Arbeiten wir also für unser Leben oder leben wir für unsere Arbeit? Eine Frage wie geschaffen für den schreibenden Philosophen Alain de Botton.

Text: Markus Ganz

Alain de Botton ist eine Ausnahmeerscheinung in der modernen Literaturwelt: Mit seinen Büchern voller philosophischer Gedankengänge erreicht er ein Millionenpublikum. Der 42-jährige Schriftsteller, Journalist und TV-Produzent scheut sich nicht vor den scheinbar simplen Fragen des Lebens. Und er gibt auf unterhaltsame Weise Antworten, die so einleuchtend klingen, als hätte man sie gerade selbst gefunden.

Die Klarheit der Gedanken
Die Beliebtheit seiner Bücher erklärt sich zu einem guten Teil dadurch, dass Alain de Botton Themen aufgreift, die alle Menschen betreffen. Als «Philosophie des Alltagslebens» hat man seine Werke schon charakterisiert. Und wenn darin der Vorwurf der Popularisierung mitschwingt, so betrachtet der Autor dies vermutlich als Auszeichnung. Denn er will bewusst niemanden mit einem abstrakten theoretischen Überbau abschrecken. Stattdessen lädt er seine Leserschaft mit anschaulichen Beschreibungen ein, seinen Gedanken zu folgen, die stets mit bestechender Klarheit formuliert sind. Die Folgerungen, die er zieht, sind praktische Ratschläge fürs Leben.

Hymne auch auf die Schönheit der Arbeit
Alain de Botton hat auf diese Weise Bücher geschrieben, deren Titel Programm sind, etwa «Trost der Philosophie», «Kunst des Reisens» und «Glück und Architektur». Mit seiner Themenwahl hat er immer wieder überrascht. «Airport. Eine Woche in Heathrow» hiess sein letztes Werk, «Freuden und Mühen der Arbeit» ist der Titel seines neuesten Buchs. In einer Zeit, in der das Thema Arbeitsplatzabbau omnipräsent ist, muss ein solcher Titel irritieren. Zumal Alain de Botton das Buch als Versuch beschreibt, «eine Hymne auf die Vielfalt, Eigenart, Schönheit und die Schrecknisse moderner Arbeit anzustimmen».

Mehr Reportage denn Philosophie
Das Buch fegt Vorbehalte gegenüber dieser abgehoben wirkenden Absichtserklärung schnell beiseite. Alain de Botton sinniert in zehn fesselnden Erzählungen weniger philosophisch als in seinen früheren Werken, sondern bietet realitätsnahe Fotoreportagen, die zum Nachdenken anregen. Der in Zürich geborene Autor, der die ersten zwölf Jahre in der Schweiz verbrachte und seit langem in London lebt, reiste mit einem Fotografen während zweier Jahre um die Welt. Er erkundete die Bedingungen der Arbeit in völlig verschiedenen Gebieten wie der Wirtschaftsprüfung, der Keksproduktion und der Raketentechnik. Unaufdringliche Fotos unterstützen diese Erkundungen. Alain de Botton hat mit wachem Blick Details registriert, die kaum jemand für bemerkenswert hält, unsere moderne Welt letztlich aber am Laufen halten. Besonders eindrücklich und oft überraschend persönlich sind die Schilderungen von Begegnungen mit den Menschen an ihrem Arbeitsplatz, etwa mit einem Künstler, der zwei Jahre lang denselben Baum malte.

Globale Vernetzung filetiert
Herausragend ist die Geschichte über das «logistische Genie» unserer Zeit, die von der globalen Vernetzung geprägt ist. Alain de Botton sieht in einem Supermarkt Thunfischsteaks, die gemäss Etikett «von Hand auf den Malediven geangelt» wurden. Er beschliesst den Weg dieses Nahrungsmittels nachzuverfolgen. Er beobachtet im Inselstaat, wie ein Thunfisch gefangen und mit einem Kokosknüppel derart totgeschlagen wird, dass sich sein Fleisch nicht unappetitlich verfärbt. Es ist der erste Fang des Fischers seit acht Tagen, zuhause warten sechs Kinder. Weiter geht es zur Verarbeitung in die Fabrik und zum Flugzeug, dessen Äusseres den Autor an den Thunfisch erinnert. 52 Stunden nach dem Fang landet der Fisch im Verkaufsregal und wird von einer Frau gekauft. Alain de Botton folgt ihr nach Hause und erfährt, dass ihr achtjähriger Sohn das Thunfischsteak nur isst, weil er dessen Geschmack etwas weniger hasst als jenen von Lachs.

Humor im Absurden
In solchen Passagen über die absurden Seiten unserer Gesellschaft kommt der feinsinnige Humor von Alain de Botton besonders schön zur Geltung. Ernsthaft bleibt er dennoch immer, und der Autor verrät auch, wann eine Arbeit als sinnvoll empfunden wird und deshalb glücklich machen kann: Wenn sie bei anderen Leuten Freude auszulösen oder Leiden zu lindern vermag. Bei dieser Ernsthaftigkeit darf man sich bereits auf sein nächstes Buch freuen, das erst im englischen Original erschienen ist. In «Religion for Atheists» geht der Autor der Frage nach, was überzeugte Atheisten – wie erklärtermassen der Autor einer ist – von der Religion lernen können, wenn sie sich nicht auf die reine Lehre, sondern auf Aspekte wie Rituale, Moral und Gemeinschaft konzentrieren.

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Titel:
Freuden und Mühen der Arbeit

ISBN-13:
9783100463227

Autor:
Alain de Botton

Verlag:
Fischer (S.), Frankfurt

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