Michael Ondaatje im Interview
Books | Posted 06/08/2012 | Autoren, Orell Füssli | 1 Ein Kommentar »Mit «Katzentisch» hat der Kanadier Michael Ondaatje seinen nächsten grossen Wurf gelandet – nach «Der englische Patient». Die Geschichte um eine Schiffsreise von Sri Lanka nach England fasziniert, weil sie gleichzeitig spannend, lustig und traurig ist…
Text: Erik Brühlmann
Books: Michael Ondaatje, Ihr neuer Roman «Katzentisch» wurde vom Publikum und von den Kritikern begeistert aufgenommen. Haben Sie das erwartet?
Michael Ondaatje: Um ehrlich zu sein, bin ich nie sicher, ob meine Bücher ankommen werden oder nicht. Während des Schreibens denke ich oft: Das wird nicht funktionieren – aber ich muss trotzdem so weitermachen, wie ich begonnen habe. Das war auch diesmal so. Ich hätte nie mit solch positiven Reaktionen gerechnet; sie haben mich natürlich sehr gefreut, aber auch überrascht.
War es denn schwierig, diese Geschichte mit all ihren kleinen Zwischenszenen und Perspektivwechseln zu schreiben?
Seltsamerweise nicht. Das Schreiben fühlte sich einfacher an als bei «Der englische Patient», wo ich ständig zwischen der Wüste und Italien hin und her sprang, oder bei «Divisadero» mit den Wechseln zwischen Kalifornien und Frankreich. Bei «Katzentisch» konnte ich ja die meiste Zeit auf dem Schiff bleiben. Auf diese Weise war die Struktur der Geschichte limitiert. Die wichtigen Dinge mussten auf dem Schiff geschehen, und das verhinderte, dass ich abschweifte.
Dennoch ist die Geschichte sehr vielschichtig und bunt – wie behält man da als Autor den Überblick?
Aus irgendeinem Grund gelingt mir das einfach. Die Geschichte ist ständig in meinem Kopf. Ich gehöre nicht zu den Schriftstellern, die im Voraus umfangreiche Pläne machen und Karteien anlegen, was wann in einer Geschichte genau passieren muss. Ich lasse es zu, dass sich eine Geschichte entwickelt, während ich sie schreibe, damit während dieses Prozesses im Grunde wirklich alles geschehen kann.
Also wissen Sie nie, was im nächsten Kapitel geschehen wird?
So ist es. Die Folge davon ist allerdings, dass ich vieles immer und immer wieder überarbeiten muss, damit die Geschichte am Ende stimmt.
Wie lange haben Sie denn an «Katzentisch» gearbeitet?
An der ersten Version etwa eineinhalb Jahre lang. Dann folgten während zwei Jahren unzählige Überarbeitungen. Ich schreibe meine Manuskripte noch von Hand, weil ich auf diese Weise schneller vorankomme, als wenn ich tippen würde. Natürlich wird dadurch das Überarbeiten, bei dem die ursprüngliche Version verdichtet und in Form gebracht wird, umso aufwändiger.
Die Geschichte von «Katzentisch» ist so dicht, dass die beliebte Schulaufgabe «Fasse das Buch in drei Sätzen zusammen» fast nicht erfüllt werden kann.
Stimmt – ich glaube, ich könnte sie auch nicht so kurz zusammenfassen! Vielleicht: Ein Junge geht an Bord eines Schiffs? Das wäre doch etwas gar simpel. Aberes stimmt schon, je länger man an einem Buch arbeitet, desto komplexer wird die Geschichte. Man versucht, jedes Detail genau zu untersuchen, die Charaktere zu entwickeln, sie aus anderen Winkeln zu beleuchten. Das hat mir grossen Spass gemacht. Ursprünglich sollte sich die Geschichte ja nur um einen Jungen auf einem Schiff drehen – bis mir irgendwann bewusst wurde, dass ich einige Schritte weitergehen muss.
Apropos Junge: Der Erzähler heisst Michael und geht 1954 als Elfjähriger auf eine Schiffsreise von Colombo nach Tilbury, England – genau wie Sie. Wieviel Autobiografisches steckt in «Katzentisch»?
Tatsächlich habe ich als Kind eine solche Reise unternommen. Genau wie Michael fuhr ich zu meiner Mutter, und genau wie Michael wurde ich Schriftsteller. Damit enden aber die Gemeinsamkeiten, denn an meine eigene Reise kann ich mich nämlich gar nicht mehr erinnern. Der Rest der Geschichte ist ebenso frei erfunden, wie es alle die Charaktere sind, die im Buch vorkommen. Natürlich stecken in jeder Geschichte Elemente aus dem eigenen Leben, Fiktion und Realität vermischen sich immer bis zu einem gewissen Grad. Ich hatte nach dem Schreiben sogar das Gefühl, dass die Geschichte die Lücken in meiner Vergangenheit ausfüllt, an die ich keine Erinnerung mehr habe.
Würden Sie der Aussage zustimmen, dass es in «Katzentisch» ebenso sehr ums Reisen wie ums Ankommen geht?
Auf jeden Fall. Am Anfang sollte sich die Geschichte einfach um Michaels «Entwicklungsreise» drehen. Aber je länger ich daran schrieb, desto wichtiger wurde mir, wie die Figuren ankommen – wie sich Michael, Cassius, Ramadhin, Emily und wie sie alle heissen auf der Reise und durch die Reise verändert haben.
Was ist denn für Sie persönlich wichtiger: das Reisen oder das Ankommen?
Vor Jahren gab es in England einmal Probleme bei British Railways. Damals witzelten die Leute: ‚Es ist besser zu reisen als jemals anzukommen.’ Aber im Ernst: Für mich ist beides wichtig, denn eine Reise wird meist erst richtig eingeordnet, wenn man angekommen ist.
Alle wichtigen Charaktere sitzen oder verkehren am so genannten Katzentisch …
Das ist übrigens ein Ausdruck, der in Nordamerika gänzlich unbekannt ist. Ich hörte ihn zum ersten Mal bei einem Gespräch mit meiner deutschen Lektorin. Sie erzählte mir von einem Traum, bei dem sie am Katzentisch sass. Ich fragte sie, was das bedeute, und sie erklärte mir, dass der Begriff für den schlechtesten Tisch bei einem Anlass oder in einem Restaurant steht. Ich fand diesen Ausdruck wundervoll und beschloss, ihn zur Überraschung aller zum Titel des Romans zu machen.
Auch wenn der Katzentisch der unwichtigste Tisch weit weg vom Tisch des Kapitäns ist: Für die Charaktere ist er der perfekte Ort.
Das stimmt, denn es sind immer diese informellen Plätze fernab vom offiziellen Gehabe, auf denen sich die spannenden Dinge abspielen. Ein kanadischer Arzt sagte einmal: «Niemand hatte je eine gute Idee in einem Anzug.» Bei formellen An- lässen ist man oft in einer Rolle gefangen.
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Habe mir das Buch gekauft. Fand das Buch gut.