«Es ist riskant, einen Bestseller fortzusetzen»

Books | Posted 23/09/2012 | Autoren, Belletristik, Orell Füssli | Keine Kommentare »

Foto: Erik Brühlmann

«Das Herzenhören» ist ein Phänomen: Seit Jahren verkauft sich der Roman von Jan-Philipp Sendker konstant gut. Eine immer grösser werdende Leserschaft hat den einstigen Geheimtipp mit begeisterter Mund-zu-Mund-Propaganda zu einem internationalen Bestseller gemacht. Nun präsentiert Jan-Philipp Sendker die Fortsetzung: «Herzenstimmen». Books sprach mit dem deutschen Autor über ein Buch, das Hunderttausende mit Spannung erwarten.

Interview: Marius Leutenegger

Books: Als ich hörte, es gäbe eine Fortsetzung von «Das Herzenhören», staunte ich: Am Ende Ihres Roman-Erstlings sind die beiden Hauptfiguren tot. Warum setzen Sie die Geschichte mit «Herzenstimmen» jetzt trotzdem fort?

Jan-Philipp Sendker: Eine Fortsetzung war nicht geplant – deshalb dauerte es auch zehn Jahre, bis ich sie schrieb. Beim Joggen kam mir einmal die Idee zu einer Geschichte über eine Frau, die eine innere Stimme hört. Doch ich kam damit nicht weiter. Dann schrieb ich die ersten beiden Teile meiner China-Trilogie, und die Idee mit dem Stimmenhören rückte in den Hintergrund – bis ich vor zwei Jahren in einem Teehaus in Kalaw sass, also in jener burmesischen Stadt, in der «Das Herzen- hören» spielt. Auf der Strasse entdeckte ich eine Frau, die aussah wie meine Figur Julia Win, und plötzlich reihte sich alles aneinander. Ich spürte sofort: Das ist die Geschichte, das ist die Figur! In «Das Herzenhören» machte sich Julia in Burma auf die Suche nach ihrem Vater, jetzt begibt sie sich wegen einer inneren Stimme auf die Suche nach sich selbst.

«Das Herzenhören» und «Herzenstimmen» weisen viele Parallelen auf. Böse Zungen könnten behaupten: Sie wollen einfach den riesigen Erfolg des Erstlings wiederholen.

Mit diesem Verdacht muss ich leben. In der New York Times stand einmal: Jeder erfolgreiche Autor, der eine Fortsetzung schreibt, sollte zumindest ein klein wenig ein schlechtes Gewissen haben. Der Gedanke, dass ich hier einfach ein Erfolgsrezept wiederholen will, mag naheliegen, aber darum ging es mir wirklich nicht. Es ist ja auch sehr riskant, einen Bestseller fortzusetzen – denn die Leserinnen und Leser haben dann besonders hohe Erwartungen. Hat ihnen etwas besonders gut gefallen, möchten sie wieder etwas Ähnliches lesen. Ist es zu ähnlich, sind sie enttäuscht und denken: Das ist ja nur eine schlechte Kopie. Ist es aber zu anders, sind sie ebenfalls enttäuscht, weil ihnen das erste Buch doch so gut gefiel. Als «Herzenstimmen» fertig war, durchlebte ich eine Krise, weil ich dachte: Das kann für alle nur mit einer Enttäuschung enden. Da empfahl mir meine Frau, das Buch noch einmal zu lesen. Ich tat es – und jetzt bin ich damit im Reinen.

Ich finde «Herzenstimmen» viel härter als «Das Herzenhören» – was Nu Nu, einer der Hauptfiguren, alles durchmachen muss, hat mich zwischendurch fast abgestossen. Fürchten Sie nicht, Ihre Leserinnen und Leser zu enttäuschen, die eine zarte Liebesgeschichte wie im ersten Buch erwarten?

Na, sehen Sie! Wäre es mir um den Erfolg gegangen, hätte ich sicher eine andere Geschichte geschrieben, sozusagen einfach die rote Fassung von «Das Herzenhören». Aber jetzt ist ein anderes Buch entstanden. Die neue Geschichte ist tatsächlich trauriger und brutaler als die erste, aber ich finde sie dennoch sehr hoffnungsvoll.

Ähnlicher als der Grundton der beiden Bücher ist ihr Aufbau: Es gibt jeweils eine Rahmenhandlung um die Anwältin Julia Win, die von New York nach Burma reist, um dort mehr über eine Liebesgeschichte zu erfahren. Zehn Jahre nach der ersten Reise kehrt Julia wegen der inneren Stimme nach Burma zurück. Diese Stimme stammt von einer Seele, die sich in ihr eingenistet hat – so erklärt ihr das zumindest ein Mönch. Woher haben Sie diese Idee?

Die Medizin kennt das Stimmenhören als Anzeichen für Schizophrenie. Damit hat meine Geschichte aber nichts zu tun. Ich denke, man kann das Buch auf zwei Ebenen lesen. Wer an Reinkarnation glaubt, wird die Stimme in Julia als Resultat einer schiefgelaufenen Reinkarnation auffassen. Aber man kann die Stimme auch als Julias eigene interpretieren – denn sie verstummt ja, nachdem Julia bei sich selber angekommen ist.

Wie war es denn mit dem Herzenhören aus dem ersten Roman? Tin Win hörte die Herzen anderer Menschen schlagen – und konnte sich dadurch ein Bild von ihrem Gemütszustand machen. Ist Ihnen eine solche Fähigkeit schon einmal begegnet?

Der Anstoss zu «Das Herzenhören» gab ein Erlebnis mit meinem Sohn: Ich balgte mit ihm herum, dabei nahm er meinen Herzschlag wahr. Nachher wollte er immer wieder mein Herz hören, und manchmal fand er: «Heute klingt dein Herz anders.» Im Kopf eines Romanautors entsteht aus eine solchen Aussage schnell einmal eine Geschichte – und ich fragte mich: Wie wäre es für jemanden, wenn er Herzen hören könnte?

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Titel:
Herzenstimmen

ISBN-13:
9783896674487

Autor:
Jan-Philipp Sendker

Verlag:
Karl Blessing Verlag

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