Erinnerung an den Duft des Lebens
Books | Posted 24/11/2012 | Autoren, Belletristik, Orell Füssli | Keine Kommentare »Präzis karikiert Birgit Vanderbeke in ihrem kurzen Roman «Die Frau mit dem Hund» unsere sicherheitsfixierte und konsumorientierte Welt. Die Frau aus dem Titel bringt einiges ins Wanken…
Text: Benjamin Gygax
Das romantische Service in unzerbrechlicher Luminose muss Jule Tenbrock einfach haben! Mit geschwungener Linie, Grundfarbe weiss, wahlweise mit Kornblumen- oder Klatschmohndekor. Der Gedanke an das Geschirr bestimmt Jules Alltag – und deshalb hat sie schnell nach Hause gewollt, um bei der neuen Show «Cosy Home» von Kanal 7 dieses Blumenservice zu gewinnen.
Jule Tenbrock ist eine der Protagonistinnen und Protagonisten aus Birgit Vanderbekes jüngstem Roman «Die Frau mit dem Hund». Sie arbeitet in einer Wäscherei im siebten Distrikt und ist eine fleissige Punktesammlerin auf ihrer «District Card». «Jule hatte eine Schwäche für schöne Dinge, sie träumte von dem Candlelight-Dinner aus dem Spot, mit dem ‹Cosy Home› angekündigt worden war: Die rote Tischdecke der Lotus-Serie hatte sie längst in ihrem Schrank. Zusammen mit dem passenden Besteckset, den beiden Kerzenhaltern und den Gläsern für Weiss- und für Rotwein hatte sie bereits im Vorfeld der neuen Show eine Menge Punkte in das Candlelight-Dinner gesteckt.» Denn sie träumt von einem romantischen Tête-à-tête mit ihrem Freund Clemens und vom Tanzen. Ganz andere Vorlieben hat ihr Nachbar Timon Abramowski: Er hält nichts von «Gewinnplunder und Dekorations-Schnickschnack», sondern träumt vom Bratkartoffel-Duft seiner Kindheit und schwärmt für alte Filmklassiker.
Übers Welschland nach Südfrankreich
Ähnlich scheint es Birgit Vanderbeke zu gehen. Die 1956 in Ostdeutschland geborene Schriftstellerin lebt seit 1993 in ihrer Wahlheimat Südfrankreich und erklärte in einem Interview: «Nach 35 Jahren in Frankfurt und mit einem kleinen Kind wollte ich raus aus grossen Städten.» Den Weg in den Süden fand die Autorin über die Schweiz, wohin sie schon als Zehnjährige geschickt wurde. «Bei einer befreundeten Familie habe ich Französisch und Käse essen und Ski laufen gelernt – sehr aufregende Dinge, die ich vorher nicht kannte», erzählt Birgit Vanderbeke. Und so fand sie später in Frankreich eine neue Heimat, in der nach ihrer Ansicht weniger Geld, dafür mehr Lebensqualität den Alltag bestimmt: «Damit hängt auch zusammen, dass die Franzosen das Selbermachen sehr schätzen. Handwerkliche Fähigkeiten sind viel verbreiteter als bei uns. Und ich mag es sehr, dass die Franzosen ihre Handwerksberufe so achten und pflegen.» Das Motiv des praktisch tätigen Lebens in der Natur griff Birgit Vanderbeke schon 2011 in ihrem Roman «Das lässt sich ändern» auf. Dort verfällt die Erzählerin Adam, der zwar überhaupt nicht der Richtige zu sein schien, weil er «mit den Händen arbeitete und Sprache für unwichtig hielt». Aber eben, sie fühlt sich angezogen von der Art, wie er das Leben angeht: «Er baute Drachen für die Kinder, die sie bekamen, fand eine grössere Wohnung. Das Leben wurde zum Abenteuer, als sie rauszogen aufs Land.»
Hund, Katze, Maus
Der neue Roman von Birgit Vanderbeke ist in gewisser Weise ein Gegenentwurf dazu: In der Welt von Jule Tenbrock und Timon Abramowski herrschen Ordnung und Hygiene. Nach einer Seuche hat die «Stiftung» die Landschaft ihrem Schicksal überlassen und die Menschen in verschiedenen Distrikten der Stadt straff organisiert. «Jedes Kind wusste, dass die mutierte Leptospirose Tausende Todesopfer gefordert hatte. Sie war nach den Stürmen aus Nicaragua, den Philippinen, Brasilien eingeschleppt worden, hatte sich in nord-westliche Richtung rasend verbreitet und war nur durch die neue Seuchenverordnung vom Stadtgebiet fernzuhalten gewesen.» Und deshalb wird seither nicht mehr selbst gekocht, sondern das Essen wird hygienisch in zentralen Küchen hergestellt; und deshalb sind Tiere auf dem gesamten städtischen Gebiet nicht zugelassen. «‹Hund, Katze, Maus, gesundheitlich ein Graus›, das hatte Jule Tenbrock wie jedes Kind schon in der Pflichtschule gelernt.» Als vor Jules Wohnungstür eines Abends eine zerlumpte junge Frau sitzt – mit Hund! –, gerät deshalb im kontrollierten Leben der Hausbewohner einiges durcheinander. Was das Schicksal mit der jungen Pola Nogueira, ihrem Hund Zsazsa, mit Jule und Timon vorhat, soll hier natürlich noch nicht verraten werden…
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