Großes Kopfkino

admin | Posted 15/11/2012 | Belletristik, Literatur im Kino | Keine Kommentare »

„Der Wolkenatlas“ von David Mitchell galt eigentlich als unverfilmbar. Nun aber läuft die Geschichte unter ihrem Originaltitel „Cloud Atlas“ mit Halle Berry und Tom Hanks im Kino. Grund für uns, die Buchvorlage noch einmal zur Hand zu nehmen…

Was ist das? Ist es ein Tagebuch? Ein Thriller? Eine Tragödie? Eine Lagerfeuer-Erzählung? Ein Science-Fiction-Roman oder gar Endzeit-Literatur? Falsch. Nein! Richtig! Denn der Roman „Der Wolkenatlas“ von David Mitchell ist alles – und noch mehr.

Der britische Schriftsteller hat mit seinem Buch „Wolkenatlas“ etwas Ungewöhnliches gewagt. Auf weit über 600 Seiten reist der Leser nicht nur durch verschiedene Kontinente, sondern begibt sich zudem auf eine Zeitreise durch mehrere Jahrhunderte und durch unterschiedliche Schreibstile.

Zunächst lernen wir einen Forscher kennen, der Mitte des 19. Jahrhunderts auf einem Schiff die Welt erkundet. Seine Erlebnisse hält er in einem Tagebuch fest. Einen knappen Monat schildert Adam Ewing in seinem Pazifiktagebuch von den Beschwerlichkeiten seiner Forschungsreise, bis die Einträge abrupt enden.

Wissbegierig blättert man weiter, doch Mitchell hält die Spannung und lässt den Leser im Unklaren. Vielmehr findet man sich nur eine Seite weiter etwa 80 Jahre später in Belgien wieder. Dorthin hat es einen jungen Komponisten auf der Flucht von seinen Gläubigern verschlagen. In vielen Briefen an einen Freund lässt Mitchell den jungen Mann die Geschehnisse an seinem Zufluchtsort, inklusive eines für ihn nicht ungefährlichen amourösen Abenteuers und Hehlerei, beschreiben. Durchaus spannend, aber wieder wird dem Leser keine Auflösung gegönnt. Mitchell beginnt den nächsten Zeitsprung, leitet eine Geschichte ein, unterbricht auch diese, um erneut neue Charaktere, eine neue Zeit und einen neuen Schreibstil einzubringen.

Etwa in der Mitte des Buches hat der Autor die Spitze seiner Erzählpyramide erreicht. Die zivilisierte Welt gehört der Vergangenheit an und auf der Erde tobt der Überlebenskampf. Die Welt, so wie wir sie heute kennen, ist längst Vergangenheit und auch die – heute gar nicht mehr so ferne – Ubiquität der Computertechnologie ist längst vergessen. Doch die unwiderrufliche Zerstörung wird einem vorenthalten. Noch bevor all das Leben des Planeten vollends zerstört ist, begibt sich der Leser wieder auf den Abstieg vom Gipfel. Nach und nach werden die zuvor begonnen Kapitel – jetzt in umgekehrter Reihenfolge – wieder aufgegriffen. Vieles löst sich nun auf, doch bleibt auch einiges im Unklaren.

Wie eingangs erwähnt, experimentiert David Mitchell in diesem Buch mit verschiedenen Schreibstilen, führt seine Protagonisten kaum oder nur oberflächlich ein. Auch gönnt er seinem Leser kein klassisches Happy End oder einen heroischen Sieger im Kampf Gut gegen Böse. All das bietet das Buch nicht. Und doch bietet es so viel mehr. Man muss sich nur auf dieses Experiment einlassen und dem Buch Zeit geben. Zugegeben, es ist sicherlich nicht leicht, wenn von Kapitel zu Kapitel die bekannten Figuren wechseln oder gar vollends verschwinden und sich zudem der Schreibstil ändert, aber dadurch wird der Roman auch reizvoller.

Lange galt „Der Wolkenatlas“ daher auch als nicht verfilmbar. Jetzt, acht Jahre nach der Erstveröffentlichung im Jahr 2004, ist aus dem opulenten Machwerk ein Kinofilm geworden. Ob der Film jedoch trotz Tom Hanks und Halle Berry wirklich das auf die Leinwand bringt, was Mitchell auf dem Papier entworfen hat? Die Antwort kann und soll es hier nicht geben. Wer jedoch Lust auf ein etwas anderes Buch hat, dem sei gesagt: „Der Wolkenatlas“ von David Mitchell ist ganz großes Kopfkino. (hvc)

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Titel:
Der Wolkenatlas

ISBN-13:
9783499241413

Autor:
David Mitchell

Verlag:
rororo

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