Rosa Liksom zeichnet in diesem Kammerspiel ein buntes aber auch beklemmendes Bild der zerfallenden Sowjetunion Ende der Achtziger Jahre…

An was erinnert der Titel dieses Romans doch gleich? Richtig – an Anton Tschechows berühmte Erzählung “Krankenzimmer Nr. 6″, in dem der russische Autor in den Gesprächen zwischen Psychiater und Patient den ganzen Irrsinn seines Landes in einem Krankenzimmer verdichtete.

Ganz bewusst sicherlich deshalb Rosa Liksoms Titelwahl, denn auch bei ihr verdichtet sich die Geschichte der gigantischen Sowjetunion auf kleinstem Raum: Im Abteil Nr. 6 der Transsibirischen Eisenbahn.

Unfreiwillige Reisegenossen in Abteil Nr. 6 sind “die junge Frau” (eine finnische Archäologiestudentin) und der grobschlächtige Arbeiter Wadim. Beide Ende der Achtziger Jahre auf dem einwöchigen Weg in das mongolische Ulan Bator. Sie zu den berühmten antiken Felszeichnungen, er zu einer Baustelle. Wadim trinkt flaschenweise Wodka, reißt vulgäre Witze, erzählt von Schlägereien, Vergewaltigungen und einem Mord, für den er im Gefängnis saß. Die junge Frau will eigentlich Abstand gewinnen von persönlichen Ereignissen. Sie schweigt, hört gezwungener Maßen zu. Wadim beleidigt und bedrängt sie, entwickelt aber im Verlauf der Reise wahre Fürsorge, hat sogar besänftigende Wirkung auf ihr ängstliches Gemüt. Schließlich unternehmen beide sogar gemeinsame Ausflüge. Angekommen in Ulan Bator trennen sich zunächst ihre Wege, doch dann sucht die junge Frau nach ihrem anfangs verhassten Ex-Reisegefährten und öffnet sich, erzählt zum ersten Mal, was passiert war.

Der Roman erschüttert mit Geschichten über die Bewohner des riesigen Landes, will zeigen, was das Sowjetsystem für Menschen hervorgebracht hat. In poetischer Sprache erzählt die Autorin von Einsamkeit und Freundschaft, ihre teils skurrilen Zuspitzungen unterhalten dabei bestens.

Rosa Liksom, Jahrgang 1958, hat selbst in der Sowjetunion gelebt und auch eine Fahrt mit der transsibirischen Eisenbahn nach Ulan Bator unternommen. “Abteil Nr. 6″ wurde 2011 mit dem wichtigsten finnischen Literaturpreis, dem Finlandia-Preis, ausgezeichnet.