Vom Versuch, Liebe zu kaufen

Books | Posted 22/04/2013 | Autoren, Belletristik, Biografien, Orell Füssli, Sachbuch | Keine Kommentare »

Was haben eine zeitgenössische französische Autorin und eine italienische Marchesa aus dem letzten Jahrhundert gemeinsam? Dieser Frage geht Camille de Peretti in «Der Zauber der Casati» ebenso einfühlsam wie ehrlich nach…

Text: Benjamin Gygax

Wissen Sie, wer Luisa Casati war? Die wenigsten Menschen könnten auf diese Frage wohl die richtige Antwort geben. Das ist eigentlich überraschend – und wäre für die Betreffende selbst wohl ziemlich niederschmetternd. Immerhin hatte die 1881 geborene Luisa ihr ganzes Leben darauf verwendet, dass man sie kennt. Luisa Adele Rosa Maria Amman, die Tochter eines unermesslich reichen norditalienischen Webmaschinenherstellers, heiratete den verarmten Marchese Camillo Casati Stampa di Soncino und inszenierte sich mit altem Adel und neuem Geld in Europas High Society und Avantgarde. Man sagt, sie sei öfter porträtiert worden als die Jungfrau Maria oder Kleopatra. Und bis heute inspiriert der Stil der «göttlichen Marchesa» Künstler und Modeschöpfer, so zum Beispiel John Galliano, Yves Saint Laurent und Tom Ford. Doch bekannt ist die Marchesa Luisa Casati, die 1957 in London mausarm starb, heute nicht mehr.

Vom Abgrund auf die Überholspur
Jetzt beschreibt die Schriftstellerin Camille de Peretti in ihrem neuen Werk das spektakuläre Leben der italienischen Selbstdarstellerin und Mäzenin – und sie wird ihr damit wohl wieder zu etwas mehr Bekanntheit verhelfen. «Der Zauber der Casati» ist das vierte Buch der 33-jährigen Französin und das zweite, das ins Deutsche übersetzt wurde. Die Autorin selbst ist eine Frau, deren Leben ebenfalls einigen Stoff bietet. Camille de Peretti fühlte sich früh zum Schreiben und zum Film hingezogen, studierte aber als fügsame und disziplinierte Tochter aus wenig begütertem Haus an der ESSEC, einer der führenden privaten Wirtschaftshochschulen Frankreichs. Sie machte eine Ausbildung zur Finanzanalystin, dann folgte der Absturz in eine schwere Magersucht. «Mit 20 Jahren brach ich zusammen und liess mitten während der Schulausbildung, die mich geradewegs zu einer Stelle im Höheren Dienst führen sollte, meine Ängste Oberhand über meinen Geist gewinnen. Ich kotzte, bis mir die Sinne schwanden. Ein Psychiater weckte mich auf und stellte sich meiner Anorexie in den Weg; dank seiner Hilfe fand ich ins normale Leben zurück.» Seither kanalisiert Camille de Peretti ihre disziplinierte Schaffenskraft in einem Leben auf der Überholspur. Sie gründete eine Firma für Eventmanagement und eine Theatergruppe in Paris, sie ist in Filmen zu sehen und zeichnet verantwortlich für eine Fernsehserie über die französische Küche in Japan. «Ich habe geliebt, hatte Ehemänner – Ehemänner im Plural!», bilanziert die junge Autorin. «Ich bin gereist, bin den Männern, die ich geliebt habe, gefolgt, nach England, in die Schweiz. Ich gebe vielleicht schon mehr Gas als andere.»

Von der Pubertät bis zum Altersheim
In ihrem ersten Buch «Thornytorinx» verarbeitete Camille de Peretti 2005 ihre Magersucht. Rückblickend sagt sie: «Dieses erste Buch war nicht zur Publikation bestimmt. Es sollte mir nur bestätigen, dass ich in der Lage bin, eine Geschichte mit Anfang, Mittelteil und Schluss zu schreiben.» Als es dann doch herausgegeben wurde, lasen es viele nicht als Literatur, sondern als Erfahrungsbericht. Der Erfolg des Buchs habe den Nachteil gehabt, dass sie nicht als Schriftstellerin gesehen worden sei, sondern als «die arme Kleine, die so viel gekotzt hat», sagt Camille de Peretti. Der Blick auf die Autorin veränderte sich aber mit ihren nächsten Büchern. Es folgten der Briefroman «Nous sommes cruels», der von Choderlos de Laclos «Les Liaisons dangereuses» inspiriert wurde; und danach «Wir werden zusammen alt». Das hoch gelobte Buch über einen Sonntag im Altersheim ist ein auch formal ambitioniertes Werk: Jedes Kapitel entspricht einer Viertelstunde im Tagesablauf, beginnend um 9 Uhr am Empfang – und mit den 64 Kapiteln führt die Autorin uns durchs ganze Haus.

Biografie als Spiegel
Camille de Peretti entfernt sich mit ihren Werken erzählerisch immer weiter von ihrer eigenen Person, doch persönlich Erlebtes oder eine Erzählerin mit dem Namen Camille findet man in jedem Buch, auch in ihrem jüngsten. «Der Zauber der Casati» ist nicht einfach eine Biografie, sondern eine literarische Annäherung. Die Autorin erzählt nicht nur die Lebensgeschichte der skandalumwitterten Marchesa, sondern schiebt immer wieder eine Szene aus dem Leben der Erzählerin ein – und diese Szenen weisen zumindest starke Parallelen zur eigenen Biographie auf: Gehversuche im Film, eine gescheiterte Ehe mit einem Maler, der Weg zum Schreiben. Und dabei geht die Autorin nicht zimperlich mit sich selbst um. Auch Camille sucht den Sinn im Künstlerleben. Sie will Schauspielerin sein und heiratet den Maler Caesar: «Er glaubte nicht an meine Schriftstellerei, meinte, ich sei keine Autorin, sondern eine Bücherverkäuferin. Eine Musterschülerin, eine beschissene Kommerzkünstlerin, die den Mechanismen eines Systems diente. Er allein sei der Künstler, ich sei unwürdig, ihn zu inspirieren. Die ganze Zeit hätte ich nichts getan, als seine Phantasie zu kastrieren. Da flüchtete ich. Ich ging weg und schrieb weiter Bücher, überzeugt, dass sie höchstens mittelprächtig waren. Und im Grunde waren sie es auch. Man kann nicht einfach so beschliessen, eine Künstlerin zu sein.»

Kleine und grosse Rebellionen

Auch wenn Camille de Peretti für ihr Buch gewohnt akribisch recherchierte, geht es ihr nicht einfach um eine wahrheitsgetreue Lebensschilderung der Casati. Dies deklariert die Autorin mit einem Satz, den sie dem Buch voranstellt: «Sie ist meine Figur, sie ist mein Schatz. Ich darf sie sagen lassen, was immer ich will.» Was die beiden Frauen zu verbinden scheint, ist ihre Suche nach Liebe und Sinn in der Kunst. Luisa Amman und ihre Schwester wurden nach dem Tod des Vaters 1896 Vollwaisen. Sie wuchsen in Watte gepackt, aber ohne Zuneigung auf. Mit ihrem Reichtum kaufte sich Luisa die Rolle der Mäzenin, als sie merkte, dass es als Muse nicht so recht klappte. Gegen Geld liess sie sich von über 100 Künstlern malen, fotografieren und modellieren. «Jetzt erlebte sie erstmals wirklich erregende Berühmtheit», schreibt Camille de Peretti. «Wie eine, die eben einen herrlichen Zaubertrunk genossen hat, fühlte sie sich in Sicherheit und gab sich der Illusion hin, sie empfange mehr Liebe, als sie gab. Sie machte Überschuss. Das unerträgliche Gefühl innerer Leere wich, sie fühlte sich endlich erfüllt. Leider war diese Wirkung nur von kurzer Dauer.» Voll Mitgefühl beschreibt die Autorin, wie die Casati dennoch weiterkämpft: «Es bedarf doch immerhin einer gewissen Art von Mut, Proust auswendig zu lernen, exzentrische Projekte auszuhecken, um Unbekannte zu beeindrucken, oder eine Nummer abzuziehen, um einen Kardinal zu foppen. Den Mut, morgens aufzustehen und sich dem Leben, das eigentlich keinen Inhalt hat, zu stellen und Gründe zum Lachen zu suchen.» Mit solchen Aussagen entzaubert sie die Selbstdarstellerin. Wie Camille de Peretti Menschen mit scharfem Blick erfasst und mit klarer Sprache, aber viel Wärme und Sympathie beschreibt, ist gekonnt. Deshalb darf man das Buch nicht nur jungen Frauen empfehlen, die sich für ein It-Girl des frühen 20. Jahrhunderts interessieren.

Share and Enjoy:
  • Print
  • Digg
  • Sphinn
  • del.icio.us
  • Yahoo! Bookmarks
  • Facebook
  • Mixx
  • Google Bookmarks
  • Blogplay
  • LinkedIn
  • StumbleUpon
  • Twitter
  • RSS

Titel:
Der Zauber der Casati

ISBN-13:
9783498053123

Autor:
Camille de Peretti

Verlag:
Rowohlt

Kommentar verfassen

Connect with Facebook

Buch kaufen

Leseprobe