Vollnarkose
admin | Posted 29/05/2013 | Krimi | Keine Kommentare »Keine Frage, es gibt Bücher, an denen scheiden sich die Geister. Besonders viel Diskussionsstoff gibt es, wenn das Thema „Humor“ ins Spiel kommt: entweder man liegt auf der gleichen Wellenlänge wie der Autor, oder eben nicht – dazwischen gibt es nichts. Solch diskutable Werke liefert seit Jahren Colin Bateman…
Als waschechter Nordire hat man eigentlich nicht viel zu lachen. Aufgewachsen in Unruhen, ausgelöst durch religiöse Differenzen, kann man sich eigentlich nur eine sehr spezielle Art von Humor zu eigen machen. Colin Bateman, geboren im County Down, hat mit dem „Mystery Man“ – einem namenlosen Krimi-Buchhändler aus Belfast – einen solchen Charakter entwickelt. Er ist ein Hypochonder, Exzentriker, ist ein bisschen schizophren, paranoid und vielleicht auch etwas autistisch. Ein Typ, den man unmöglich mögen kann, würde man ihn im wahren Leben treffen. Einer, dessen Lebensaufgabe unter anderem darin besteht, die Kennzeichen der Autos, die vor seinem Laden parken, niederzuschreiben, um darin nach Mustern zu suchen. Einer, der sich hauptsächlich von Schokoriegeln und Getränken einer großen Kaffeehauskette (die in alphabetischer Reihenfolge konsumiert werden) ernährt. Kurz: ein absolut weltfremder Nerd, kaum überlebensfähig in der „Wildnis“, die andere Menschen „Leben“ nennen.
Dass dieser Charakter zwischen den Buchdeckeln aber sehr gut ankommt, zeigt sich schon an der Tatsache, dass mit „Vollnarkose“ der nunmehr dritte Roman der Serie erscheint. Der namenlose Held verdingt sich in seiner Freizeit gerne als Privatdetektiv – schließlich hat er die Erfahrung aus 10.000 gelesenen Kriminalromanen. Seine Freundin Allison – Modeschmuckverkäuferin aus dem Geschäft gegenüber der Buchhandlung – ist von ihm schwanger (natürlich zweifelt unser Protagonist immer wieder, ob das Kind tatsächlich von ihm stammt), mischt sich aber trotzdem gerne in die Fälle ein. Ein solcher kommt nun tatsächlich völlig unerwartet hereingeschneit: Augustine Wogan ist so ziemlich der beste Kriminalschriftsteller Nordirlands; nur weiß das leider keiner, denn seine Bücher – herausgegeben im Eigenverlag – hatten alles andere als überragende Verkaufszahlen. Dieser Autor sitzt nun völlig verwirrt in der Buchhandlung, drauf und dran, den berühmtesten Schönheitschirurgen des Landes zu töten. Denn seine Frau wollte sich eine Rundum-Erneuerung gönnen – von der sie nicht wieder zurückgekommen ist. Aber ist sie tatsächlich auf dem OP-Tisch gestorben? Oder hat sie ihren alten Gatten einfach sitzen lassen? Ein Fall für den „Mystery Man“ – und wo dieser die Finger im Spiel hat, taucht garantiert der ein oder andere Tote auf…
Haarsträubend, skurril, völlig absurd: so entwickeln sich die Romane des Autors. Das ist nicht jedermanns Geschmack – aber eine willkommene Abwechslung zu all den üblichen melancholischen, in einer Sinnkrise steckenden Ermittlern dieser Literaturwelt. Wer es ein bisschen ausgeflippt mag, sollte unbedingt eines der Bateman-Bücher zur Hand nehmen. Wer mit dem Humor klar kommt, wird die Werke in einem Rutsch durchlesen. Wir haben uns jedenfalls ausgezeichnet unterhalten.
Text: Dominik Roth