Josefine Mutzenbacher
Books | Posted 09/08/2013 | Belletristik, Orell Füssli | Keine Kommentare »Der durchschlagende Erfolg von «Shades of Grey» hat ein Genre wieder belebt: die erotische Literatur, in der es um Dominanz und Unterwerfung geht. Dieses Genre ist alt und bietet unzählige Höhepunkte…
Text: Marius Leutenegger
Dass auch die Österreicher der vordergründig prüden Habsburgerzeit keineswegs auf solche Werke verzichten mussten, beweist der 1906 erschienene Roman «Josefine Mutzenbacher. Die Geschichte einer Wienerischen Dirne. Von ihr selbst erzählt.» Auf dem Stammbaum jener Literatur, um die es hier geht, würde dieses Buch wohl die Position einer etwas verqueren Tante einnehmen.
Der Titel verspricht Autobiografisches, doch eine Josefine Mutzenbacher ist nicht aktenkundig. Schon bei der Erstveröffentlichung des Buchs wurde daher munter über dessen Urheberschaft spekuliert. Am häufigsten fiel damals der Name Felix Salten. Der österreichische Autor gilt generell nicht gerade als Pornograf, denn er schrieb vor allem über Häschen und Rehe – sein wichtigstes Werk ist «Bambi», die Vorlage für den berühmten Disney-Film. Die Tatsache, dass sich Salten nie gegen die Zuschreibung des Mutzenbacher-Romans wehrte, macht ihn allerdings schon sehr verdächtig, denn er hätte allen Grund gehabt, sich von ihm zu distanzieren: Das Buch wurde schnell als jugendgefährdend und unsittlich verfemt, und noch 1992 stuften es deutsche Richter als «Kinderpornografie» ein.
Man kann lächeln über das steife Beamtendeutsch, in dem das damalige Urteil verfasst wurde – im entscheidenden Punkt muss man den Richtern aber Recht geben: Der Dauerbrenner «Josefine Mutzenbacher» IST Kinderpornografie. Das Buch erzählt nämlich, wie Josefine ihre Sexualität entdeckt und auszuleben beginnt. Am Ende des ersten Bands ist sie 14 Jahre alt. «Pepi» wird schon als Fünfjährige missbraucht und kann darüber nur lustvoll lächeln, sie hat inzestuöse Beziehungen und gibt sich freudig jedem hier, der sich mit ihr vergnügen will. Anders als bei Sacher-Masoch sind hier die «gewissen Stellen» die absolute Hauptsache. Meist leiten nur zwei, drei Sätze von einem feurigen Abenteuer zum nächsten über. Wenn Wikipedia schreibt, hier werde auch «ein Sittenbild des Wiener Proletariats im ausgehenden 19. Jahrhunderts präsentiert», ist das eine wohlwollende Übertreibung. Die Sprache ist zwar tatsächlich von anno dazumal, ales in allem bleibt «Josefine Mutzenbacher» aber Pornografie in reinster Form. Immerhin aber eine fröhliche – hier hat jemand beim Schreiben offenbar viel Spass gehabt und sich einer beneidenswerten Fantasie bedienen können.